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Mindener Tageblatt , 03.07.2018 :

Spurensuche im Bundesarchiv

Der Hauptausschuss hat die beiden Historiker Dr. Karsten Wilke und Thomas Lange mit der Erforschung der Ahnenstätte Seelenfeld beauftragt

Von Oliver Plöger

Petershagen-Seelenfeld (mt). Die beiden Historiker Dr. Karsten Wilke und Thomas Lange sollen Fakten zur Einordnung der Ahnenstätte Seelenfeld ermitteln. Dabei soll es um geschichtliche Hintergründe gehen, vor allem aber um die Bewertung in der Gegenwart. Für den Einsatz der Wissenschaftler hatte der Rat bereits im März Haushaltsmittel in Höhe von 10.000 Euro bereitgestellt. Jetzt votierten die Ausschüsse für Kultur und Heimatpflege und der Haupt- und Finanzausschuss für den Einsatz von Wilke und Lange.

Beiden Historikern sei es bewusst, wie sensibel das Thema Ahnenstätte anzugehen ist, so Thomas Lange. "Uns geht es darum, konstruktiv herauszufinden, wie die Ahnenstätte entstehen konnte und wie sie heute genutzt und wahrgenommen wird." Umfangreiche Quellen gebe es auf kirchlicher Seite, herauszuarbeiten sei das Beziehungsgeflecht des Tannenbergfunds zu den Seelenfeldern. "Da ist Forschung zu leisten", so Lange - auch wenn der Tannenbergbund überregional schon sehr gut erforscht sei.

Für Seelenfeld selbst müsse eine politische Einordnung erfolgen, auch unter Einbezug historischer Wahlergebnisse. Frage müsse auch sein: Wer wurde dort beerdigt?

Wilke sieht seine Aufgabe vor allem darin, die Erkenntnisse von Thomas Lange bis in die Gegenwart zu verlängern. Recht wenig Material gebe es in der Verwaltung selbst, abgesehen von einer Erweiterung des Friedhofs 1994 / 1995. Auch in den Periodika der Ludendorffer gebe es keine oder sehr eingeschränkt Ausführungen zur Ahnenstätte Seelenfeld.

Notwendig sei die Quellensuche im Bundesarchiv und im Bayerischen Staatsarchiv. Wichtigste Quelle, so Wilke weiter, sei aber die Ahnenstätte selbst. "Herauszufinden sind biografische Hintergründe zu den Sippen, die dort begraben liegen." Danach müsse geprüft werden, wer die Ahnenstätte nach 1945 genutzt hat, welche Veranstaltungen es hier gibt und welchem Zweck diese Veranstaltungen dienen. "Eine Arbeitshypothese wäre es, dass die Ahnenstätte eine Gegenwelt zur christlichen Welt darstellt", sagte Wilke in einer ersten Einschätzung.

Der Friedhof könnte eine Gegenwelt zur christlichen Welt sein

Nicht zusagen konnte Lange, dass bis zum Ende diesen Jahres Ergebnisse vorliegen. Geplant aber sei ein wissenschaftlicher Aufsatz. Fußend darauf könnte weiteres Material erstellt werden, auch Informationstafeln für den Friedhof selbst.

Die Historiker empfehlen nach Abschluss der Forschungen eine Fachtagung. Über Organisation, Durchführung, Dokumentation und Finanzierung einer solchen Veranstaltung müsste gesondert gesprochen werden, hieß es dazu aus der Verwaltung.

Skeptisch blieb Karl-Christian Ebenau (Demokratisches Petershagen), der die Aufarbeitung der Geschichte grundsätzlich für wichtig hält, hier aber ein Thema sucht, das - "wie so viele derzeit" - durch die Sozialen Medien bekomme. Das insgesamt 10.000 Euro ausgegeben würden, können in Petershagen nicht alle verstehen.

Ja, die Diskussion um die Ahnenstätte habe sich hochgeschaukelt, es sei aber wichtig, dass der Rat jetzt ein Zeichen setzt, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Ingo Ellerkamp. Ähnlich CDU-Fraktionsvorsitzender Hermann Humcke: "Das Thema ist bei diesen Historikern in guten Händen."

Dass die Stadt Petershagen bereits jetzt Schaden genommen habe, ergänzte Heiner Müller von der FDP, und: "Dieser Schaden sollte behoben werden." Das bestätigte auch Helma Owczarski (SPD): "Der Schaden wird im Nachhinein größer sein, wenn wir nichts tun."

Die Historiker

Thomas Lange lebt in Hille, hat Geschichte in Hannover und Düsseldorf studiert und forscht seit 2009 auch an der KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica. Sein Schwerpunkt ist die Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, darunter auch Rechtsextremismus.

Karsten Wilke studierte Geschichte und Literaturwissenschaften in Bielefeld und Groningen und wurde an der Universität Bielefeld 2009 promoviert. Beschäftigt ist der gebürtige Vlothoer an der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Auch in Schulen und Jugendeinrichtungen informiert er zum Thema.

Bildunterschrift: Wollen herausfinden, wie die Ahnenstätte entstand und welche Bedeutung sie hat: Karsten Wilke und Thomas Lange (rechts).

Der Autor ist erreichbar unter (0571) 882264 oder Oliver.Ploeger@MT.de.


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Stadt Petershagen - Der Bürgermeister, 19.06.2018:

Sitzungsvorlage: Ahnenstätte Seelenfeld

( ... )

Drucksachen-Nummer: 79/2018

Beratungsfolge:

Ausschuss für Kultur und Heimatpflege: 28.06.2018

Haupt- und Finanzausschuss: 28.06.2018

Rat: 05.07.2018

( ... )

Betreff: Ahnenstätte Seelenfeld;

hier: Beauftragung der Historiker für die wissenschaftliche Ausarbeitung

Beschlussvorschlag:

Die Stadt Petershagen beauftragt die Historiker Thomas Lange (M. A.) und Dr. Karsten Wilke mit der Ermittlung der Fakten und Hintergründe zur geschichtlichen Einordnung der Ahnenstätte Seelenfeld in der Vergangenheit sowie vor allem zur Bewertung in der Gegenwart. Die Verwaltung wird beauftragt, die entsprechenden Verträge abzuschließen.

Sachdarstellung:

Im März diesen Jahres hat der Rat der Stadt Petershagen die Beauftragung eines Historikers mit der Ermittlung der Fakten und Hintergründe zur geschichtlichen Einordnung der Ahnenstätte Seelenfeld in der Vergangenheit sowie vor allem zur Bewertung in der Gegenwart beschlossen. Hierfür wurden Haushaltmittel in Höhe von maximal 10.000 Euro bereitgestellt.

Durch die Zweiteilung in einen geschichtlichen und einen politologischen Part wurde sehr schnell deutlich, dass es sinnvoll ist, zwei Fachleute aus den beiden Schwerpunktbereichen zu beauftragen. Mit Herrn Lange und Herrn Dr. Wilke konnten zwei Fachleute gewonnen werden. Eine kurze Vita ist nachfolgend aufgeführt. Im Rahmen der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Heimatpflege werden sich beide im Detail vorstellen.

Thomas Lange (M.A.), geboren 1979, ist Historiker. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf sowie Geschichte, Politische Wissenschaft und Soziologie an der Leibniz Universität Hannover. Seine Arbeitsschwerpunkte: Geschichte des Nationalsozialismus, politische, juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung der NS-Zeit in der Bundesrepublik Deutschland, Gesellschafts- und Politikgeschichte der Weimarer Republik, ehrenamtliche Tätigkeit als Historiker in diversen Initiativen, Gründungsmitglied des Vereins
KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e.V.

Dr. Karsten Wilke, geboren 1971, ist Historiker. Er studierte und promovierte an der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsschwerpunkte: Geschichte des Nationalsozialismus und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Als Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Detmold befasst er sich seit vielen Jahren mit Fragen zur Ausgestaltung des demokratischen Gemeinwesens.

Hinsichtlich der Erarbeitung haben sich die beiden Historiker erste Gedanken gemacht, die nachfolgend wiedergegeben werden:

Erste Überlegungen zum Forschungsprojekt "Ahnenstätte Seelenfeld"

Das Ziel des Projekts besteht für die Historiker darin, die Geschichte der Anlage sowie ihre Nutzung in rechtsradikalen und rechtsextremen Szenen während der vergangenen Jahrzehnte bis in die Gegenwart zu erforschen. Auf Grundlage der Ergebnisse ließen sich zu einem späteren Zeitpunkt Handlungsempfehlungen erarbeiten.

Herr Lange und Herr Wilke werden bis zum Ende des Jahres 2018 einen zweiteiligen, längeren Aufsatz zum Thema "Ahnenstätte Seelenfeld" erstellen, der anschließend veröffentlicht werden soll.

Im ersten Teil wird Herr Lange die Entstehungsgeschichte der Anlage nachzeichnen sowie ihre Struktur, die damit erschlossenen und angesprochenen Sinnzusammenhänge (zum Beispiel "völkische" Ideologie, Totenkult) und die intendierten Wirkungen analysieren. Herr Langes Beitrag wird auch die Nutzung der Anlage zur Zeit des Nationalsozialismus behandeln und entsprechend im Jahre 1945 enden.

Daran anschließen wird sich der zweite, von Herrn Wilke zu bearbeitende, Teil. Hier wird die Rezeption der Anlage in unterschiedlichen rechtsradikalen und rechtsextremen Szenen nach 1945 nachvollzogen. Wenn möglich soll diese Rezeption über ein minimales theoretisches Modell für Außenstehende verstehbar gemacht werden.

Weitere inhaltliche Festlegungen lassen sich derzeit noch nicht treffen. Zunächst muss nach Aussage der Historiker eine gründliche Sichtung der Quellen erfolgen. Erst danach lassen sich die konkreten Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen festlegen.

Beide Textteile sollen über direkte Bezüge und Verweise verbunden werden, damit der Eindruck eines geschlossenen Textes entsteht. Eine Gesamt-Seitenzahl lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehen. Diese wird nach Sichtung der zur Verfügung stehenden Quellen bis Mitte August 2018 bestimmbar sein.

Kontextualisierung

Die Historiker empfehlen, das Thema "Ahnenstätte" in einem zweiten Schritt nochmals breiter zu kontextualisieren. Es erscheint als sinnvoll und angemessen, nach Abschluss der Forschungen noch einmal nachzulegen und - möglicherweise im Frühjahr / Frühsommer 2019 -eine themenbezogene Fachtagung / ein Symposium durchzuführen.

Hier ließen sich wichtige (auch regionale), möglicherweise sehr ähnliche Rezeptionsvorgänge aufzeigen (zum Beispiel Externsteine, Freilichtmuseum Oerlinghausen ... ), so dass über einen Vergleich ein noch besser differenziertes Bild entstehen könnte. Über Organisation, Durchführung, Dokumentation und nicht zuletzt Finanzierung einer derartigen Veranstaltung müsste natürlich nochmals gesondert gesprochen werden.

Im Verlauf der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Heimatpflege werden Herr Dr. Wilke und Herr Lange ihre Überlegungen zur Forschungsarbeit "Ahnenstätte Seelenfeld" vorstellen.

Bürgermeister
gez. Blume

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roter Winkel (VVN-BdA), Juli 1992:

Die Karriere des Germanenfriedhofs

"Ahnenstätte Seelenfeld"

Von Jens Breder

In Seelenfeld steckt Geschichte. 1228 zum ersten Mal urkundlich erwähnt, sorgte das beschauliche 340-Einwohner-Dorf nordöstlich von Petershagen im Kreis Minden-Lübbecke zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Schlagzeilen: 1914 wurden dort in einem altgermanischen Hügelgräberfeld Urnen aus der Bronzezeit entdeckt. Allerdings entschwand das Interesse an Seelenfeld ebenso schnell, wie es gekommen war.

Die "Karriere" des Hügelgräberfeldes indes endete nicht. Sie begann. 1930 schufen sich dort die Seelenfelder Anhänger des völkisch-germanisch- und antisemitischen "Tannenbergbundes" des Generals Erich Ludendorff ihren "sichtbaren Sammelpunkt" (so die "Mindener Heimatblätter" 1934). Den Friedhof gibt es heute noch. Auch wenn die naturbelassenen Findlinge mit Moos bewachsen, die Runen und die Grabsteininschriften verwittert sind, ist längst noch kein Gras über den Friedhof gewachsen. Einige Grabstellen sind frisch, immer wieder werden hier Bestattungen zelebriert.

Vieles weist darauf hin, dass Ludendorff-Anhänger für die stetige Belegung des Friedhofes sorgen. Zwar wird die Ahnenstätte inzwischen von einem "Ahnenstättenverein Niedersachsen e.V." verwaltet, der sich "als unpolitische Gemeinschaft von Heiden" sieht - der zuständige Ahnenstätten-Wart jedoch mag "indirekte Verbindungen" zur Nachfolgeorganisation des Tannenbergbundes, dem "Bund für Gotterkenntnis" nicht abstreiten. Des Weiteren tragen die Grabsteine Ortsangaben wie Ostpreußen, Pommern, Braunschweig - ganze "Sippen" aus dem gesamten Bundesgebiet lassen sich hier beerdigen.

Erich Ludendorff persönlich hätte gerne daneben gelegen. Der Hitler-Kumpan beim Putsch in München und Schirmherr des 1925 gegründeten Tannenbergbundes erklärte seinen Seelenfeldern Anhängern, dass er sich auf dem Gelände der Ahnenstätte begraben lassen wollte. Das allerdings war nicht im Sinne Adolf Hitlers: Der gab 1937, nach dem Tod des Generals, Order zum nationalsozialistischen Staatsbegräbnis in dessen Heimatort Tutzing. Dort ist inzwischen die "Weltanschauungsgemeinschaft Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V." (Vorsitzender ist Dr. G. Duda) ansässig - eine rege Organisation (vgl. hierzu: "Ludendorffer tummeln sich in Ostwestfalen" in "roter Winkel" Nr. 17, sowie "Sonnenwendfeier der Ludendorff-Sekte" in dieser Ausgabe, d. Red.). In Seelenfeld selbst sind der Friedhof, die Ludendorff-Anhänger und ihre Geschichte allerdings kaum noch Gesprächspartner. Die Ahnenstätte wird brav geduldet, ist sonntägliches Ausflugsziel.

Das Friedhofsamt der Stadt Petershagen gibt sich tolerant: "Es hat noch nie jemand Anstoß daran genommen. Da geht es sehr unauffällig und in kleinem Rahmen vor sich." Auch dem zuständigen Pfarrer begegnet der betont heidnische Friedhof, dessen Wegzuführung sogar die Kreuzesform vermeidet, in seiner Arbeit "überhaupt nicht mehr". Das ging dem früheren Amtsinhaber Pastor Hof nicht so. Er führte Mitte der 20er Jahre ein "autoritäres Regiment", der Konflikt mit den Dorfbewohnern blieb nicht aus. Als der junge Ludendorff-Anhänger und Dorfschullehrer Peithmann kam, hatte er leichtes Spiel. Die Ideen des Tannenbergbundes (Kampf den überstaatlichen wie Christen-, Juden-, Freimaurertum und Marxismus) faszinierten die Seelenfelder, schon bald war die Einwohnerschaft in zwei Hälften gespalten: Tannenberger und Christen. Die Tannenberger gewannen an Einfluss, setzten die Errichtung der Ahnenstätte auf dem germanischen Hügelgräberfeld durch und konnten 1933 sogar einen Gemeindevorsteher ins Amt wählen. Der allerdings wurde vom damaligen NSDAP-Landrat nicht bestätigt. Kurz darauf wurde der Tannenbergbund verboten. Der Nationalsozialismus fraß einen seiner Wegbereiter.

Doch 1937 kam es zur bereinigenden Aussprache zwischen Mathilde Ludendorff und Adolf Hitler: Der Bund für Deutsche Gotterkenntnis wurde gegründet. Kein Wunder, schließlich waren die ideologischen Ansätze sehr eng verknüpft. So schrieb Mathilde Ludendorff 1937 in einem Aufsatz: "Mann und Frau als Schöpfer und Hüter der Sippe und die tüchtigsten Männer und Frauen als Hüter des Volkes, jeder den Segen seines Geschlechtes dem Volksganzen sichernd, so sieht die deutsche Gotterkenntnis die beiden Geschlechter im Volke und schafft hiermit erst wieder geweihte Sippe und ein deutsches, lebendiges und nicht mehr verjudetes Volk."

Bildunterschrift: Der Grabstein mit Sechskreuz auf dem Germanenfriedhof. Der Name Weecke ist im Lippischen gut bekannt. B. Weecke unterhält in Horn eine einschlägige Buchhandlung.

Bildunterschrift: Auch der Hoheitsadler des Tannenbergbundes findet sich auf dem Ahnenstätten-Friedhof Seelenfeld, eingeschnitzt über dem Zugang zum Geräteraum.


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