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Weser-Kurier , 21.08.2008 :

HDJ tritt offenbar verbotenes Erbe an

Berlin (ADE·TIN). Immer mehr Politiker aller demokratischen Parteien fordern, die rechtsextreme Kinder- und Jugendorganisation "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) zu verbieten. Doch bislang hält sich das Bundesinnenministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) bedeckt. Dabei gibt es nach Recherchen unserer Zeitung längst zahlreiche Belege, dass die HDJ Nachfolgerin der "Wiking-Jugend" (WJ) ist - und daher verboten werden könnte: Als Schäubles Amtsvorgänger Manfred Kanther (CDU) die WJ 1994 wegen ihrer "Wesensverwandtschaft mit Nationalsozialismus und Hitler-Jugend" auflösen ließ, untersagte er zugleich, für die WJ "Ersatzorganisationen" zu gründen.

Doch viele HDJ-Aktivisten von heute - zum Beispiel die NPD-Bundesvorstände Manfred Börm und Thorsten Heise - arbeiteten auch für die WJ. Hinzu kommen dieselben Zeichen und Symbole, allen voran die Odalrune, die die HDJ wie einst die WJ als Erkennungszeichen nutzt. Intern macht der Verein ohnehin keinen Hehl aus seiner Verfassungsfeindlichkeit. Bereits 2005 sagte ein Redner vor HDJ-Anhängern: "Dieses System ist der Fehler - und wir sind angetreten, dieses System abzuschaffen."

Im November vergangenen Jahres hat Schäuble der HDJ immerhin verboten, ihre Anhänger zu uniformieren. Dokumente, die unserer Zeitung vorliegen, belegen vier Verstöße binnen weniger Monate in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen.

Berichte: Seite 5

Verbotene Kleider

Auch wenn die "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) bis heute erlaubt ist, verbot das Bundesinnenministerium der rechtsextremen Organisation im November 2007 immerhin, ihre Mitglieder und Anhänger zu uniformieren. Die Kader des rechtsextremen Vereins scheint das wenig zu beeindrucken: Sie lassen Kinder und Jugendliche ganz offensichtlich weiterhin in einheitlicher Kleidung antreten.

Erste Hinweise veröffentlichte ein Fernsehmagazin im April, belegte das allerdings lediglich mit der Aussage eines Augenzeugen: Ein Jugendherbergsvater sagte vor der Kamera, er habe bei einer HDJ-Veranstaltung nahe Koblenz einheitlich bekleidete Kinder und Jugendliche beobachtet. Dieser Zeitung liegen inzwischen Belege für vier Veranstaltungen vor, auf denen der Verein gegen das Verbot verstoßen hat: Als die Polizei am 7. August ein HDJ-Zeltlager in mecklenburg-vorpommerschen Hohen Sprenz auflöste, bestätigte ein Polizeisprecher die Uniformierung der Teilnehmer.

Polizisten bleiben draußen

Nur rund eineinhalb Monate zuvor, am 21. Juni, waren im nordrhein-westfälischen Preußisch-Ströhen rund 30 Teilnehmer eines HDJ-Zeltlagers gleichartig angezogen: Frauen in völkischen Trachten, Männer in weißen Hemden und schwarzen Hosen. Auch während des "HDJ-Pfingstlagers" am 10. Mai nahe der sächsischen Gemeinde Hausdorf waren die Teilnehmer uniformiert - auch wenn die Polizei das festzustellen versäumte: Nachdem ein minderjähriges Mitglied nach einem Geländemarsch zusammengebrochen war und von einem Notarzt versorgt werden musste, ließen Polizisten sich von HDJ-Wachposten am Betreten des Geländes hindern.

Bereits am 25. März hatten im sächsischen Limbach uniformierte HDJ-Mitglieder Polizisten eines Geländes verwiesen, auf dem die HDJ ein "Pimpflager" veranstaltete. Später erklärte Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) vor dem Innenausschuss des Landtages, in dem Lager sei keine Uniformierung festgestellt worden. Auch hier beweisen Fotos, die dieser Zeitung vorliegen, das Gegenteil.

HDJ tritt offenbar verbotenes Erbe an

Politiker aller demokratischen Parteien fordern, die neonazistische Kinder- und Jugendorganisation "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) zu verbieten. Doch das Bundesinnenministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) hält sich bedeckt. Dabei gibt es längst viele Belege, dass die HDJ Nachfolgerin der "Wiking-Jugend" (WJ) ist - und daher verboten werden könnte. Die WJ wurde 1994 wegen ihrer "Wesensverwandtschaft mit Nationalsozialismus und Hitler-Jugend" aufgelöst. Zugleich untersagte das Innenministerium, "Ersatzorganisationen" zu gründen.

Viele HDJ-Aktivisten von heute - zum Beispiel die NPD-Bundesvorstände Manfred Börm und Thorsten Heise - arbeiteten schon für die WJ. Hinzu kommen dieselben Zeichen und Symbole, allen voran die Odalrune. Das einstige Emblem der WJ nutzt auch die HDJ intern als Erkennungszeichen. Im November vergangenen Jahres hat Schäuble der HDJ immerhin verboten, ihre Anhänger zu uniformieren. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, belegen vier Verstöße binnen weniger Monate: Bei Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen traten HDJ-Anhänger uniformiert auf.

Verbotene Taten

Kader der rechtsextremen "Heimattreuen deutschen Jugend" (HDJ) aus Niedersachsen sorgen immer wieder für Negativschlagzeilen. Erst Ende Mai ließ die Staatsanwaltschaft Berlin unter anderem die Wohnung Christian Fischers in Vechta durchsuchen: Zusammen mit anderen Neonazis soll der 26-Jährige im Januar in Georgsmarienhütte (Kreis Osnabrück) eine "Rasseschulung" der HDJ organisiert haben. Die Ermittler beschlagnahmten Unterlagen und Speichermedien, die die rassistischen Vorträge belegen sollen.

Christian Fischer gehörte bereits im Juli 2006 zu den Veranstaltern eines paramilitärischen "Sommerlagers" in Wilsum (Kreis Grafschaft Bentheim), bei dem junge Neonazis unter anderem Hinrichtungen nachstellten. An den Zelten prangten Schilder mit Aufschriften wie "Hitler-Jugend" oder "Leibstandarte". Monate später beschlagnahmte die Polizei ein ganzes Waffenarsenal bei den Teilnehmern des Camps, unter denen zahlreiche HDJ-Aktivisten waren.

In Wilsum mit von der Partie war auch Christian von Velsen. Der Rechtsextremist aus Georgsmarienhütte macht aus seiner Gesinnung keinen Hehl. So forderte er als Redner auf einer Kundgebung der rechtsextremen NPD im Frühjahr 2008 lauthals einen "Führerstaat". Nur Wochen nach dem Lager in Wilsum war von Velsen im August 2006 gemeinsam mit Fischer beim "HDJ-Sommerlager" im nordrhein-westfälischen Fromhausen mit von der Partie. Auch hier wiesen Hinweisschilder mit Aufschriften wie "Führerbunker" den Weg. Am 17. Juni 2007 trafen die HDJ-Kader sich am "NPD-Zentrum" in Georgsmarienhütte und feierten "Sonnwende". Auch beim "HDJ-Lager" zur "Sonnwendfeier" am 21. Juni 2008 im nordrhein-westfälischen Preußisch Ströhen unweit der niedersächsischen Grenze fehlten Fischer und von Velsen nicht.

Die in dieser Region ansässige "Einheit Hermannsland" der HDJ gilt überdies zusammen mit der "Einheit Niedersachsen" aus dem Lüneburger Umland als eine der umtriebigsten Untergruppen der bundesweit tätigen Organisation. Trotz allem tun sich Niedersachsens Verfassungsschützer offenbar immer noch schwer, die Organisation einzuordnen. In ihrem jüngsten Bericht findet die HDJ jedenfalls keine Erwähnung.

Verbotenes Erbe

Ein Verbot der neonazistischen Kinder- und Jugendorganisation "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) sei überfällig, meint nicht nur der Sprecher des Innenausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD). Doch das Bundesinnenministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) ziert sich noch: Man spreche nicht über Verbote, man spreche sie aus, heißt es aus seinem Haus. Schäuble lässt die HDJ aber bislang gewähren - trotz zahlreicher Belege, dass die Organisation Nachfolgerin der verbotenen "Wiking-Jugend" (WJ) ist.

Deutlich sind personelle Überschneidungen in beiden Vereinen, die der braunen Szene als Kaderschmieden dienen. Allen voran Familie Börm aus dem kleinen Handorf (Kreis Lüneburg). Manfred Börm ist Chef den für seine Gewaltbereitschaft berüchtigten Bundesordnerdienstes der rechtsextremen NPD und war bis zum Verbot der WJ Leiter der Unterorganisation "Gau Niedersachsen/Bremen". Heute leitet der 58-Jährige Kinder und Jugendliche bei Aufbau und Bewachung von HDJ-Zeltlager an.

Börms Sohn Alf ist mit der HDJ groß geworden und fungiert heute in dem Verein als Anführer der "Einheit Niedersachsen". Im Juni 2007 war Börm junior einer der Organisatoren eines Zeltlagers nahe Melle (Kreis Osnabrück). Als die Polizei das Lager auflöste, wichen die Teilnehmer auf das Gelände des "NPD-Heims" im nahegelegenen Georgsmarienhütte (Kreis Osnabrück) aus. Alf Börm fungierte bereits im August 2006 im nordrhein-westfälischen Fromhausen als "Ausbilder" - und quartierte Kinder und Jugendliche in ein Mannschaftszelt ein, das sie "Führerbunker" nannten.

Sebastian Räbiger war in der WJ "Gauleiter" in Sachsen, heute ist er HDJ-Bundesvorsitzender. Auch Stefan Köster und Udo Pastörs, die für die NPD in Mecklenburg-Vorpommerns Landtag sitzen, waren einst für die WJ aktiv. Beide sind heute bei Veranstaltungen der HDJ beispielsweise als Referenten mit von der Partie.

Thorsten Heise, Anführer militanter neonazistischer Kameradschaften und NPD-Bundesvorstand, marschierte einst in Uniform der WJ. Auch er hält heute für die HDJ Vorträge. Der Berliner Neonazi und Rechtsanwalt Wolfram Narath war bis zum Verbot WJ-Bundesvorsitzender. Heute nennt Brandenburgs Verfassungsschutz Narath "den führenden Kopf" der HDJ, "der vor allem aus dem Hintergrund agiert".

Neben Personen zeigen Symbole, dass die HDJ in der Tradition der verbotenen WJ steht. Wie einst in der WJ - und während des NS-Regimes im "Bund Deutscher Mädel" - erkennt man in der HDJ Amtsinhaber an sogenannten Pfeifenschnüren, die sie an ihren Hemden oder Blusen tragen. Das Symbol der WJ war die Odalsrune, die schon während des NS-Regimes auf Abzeichen von SS-Divisionen ebenso wie auf Schriftstücken des "Rasse- und Siedlungsamtes" prangte. Das Zeichen findet sich auch in internen HDJ-Unterlagen. Und als die Polizei vor wenigen Wochen in Mecklenburg-Vorpommern ein HDJ-Zeltlager auflöste, stellte sie dort nicht nur mit Hakenkreuzen beschmierte Gegenstände sicher: Andere zeigten die Odalsrune. Auf dem Hof des HDJ-Anführers Börm "ziert" die Rune übrigens weithin sichtbar einen Fachwerkgiebel.

Intern macht der Verein ohnehin keinen Hehl aus seiner Einstellung zu Demokratie und Verfassung. So sagte bereits 2005 der neonazistische Kameradschaftsanführer Ralph Tegethoff als Redner auf einer HDJ-Veranstaltung: "Dieses System ist der Fehler - und wir sind angetreten, dieses System abzuschaffen." Auch Tegethoff war einst für die WJ aktiv.

Ende Juni haben FDP und Grüne Anträge für ein Verbot der HDJ gestellt, nach Angaben Edathys bereitet auch die Regierungskoalition aus CDU und SPD einen solchen Antrag vor. Der SPD-Politiker hält die Verbotsgründe längst für ausreichend, für ihn ist nur eine Frage noch offen: welche Gründe Schäuble überhaupt einfallen könnten, die HDJ nicht zu verbieten.

Verbotene Vereine

1994 war es das Bundesinnenministerium von Manfred Kanther (CDU), das die "Wiking-Jugend" (WJ) verboten hat. Initiiert hatte das Verbot Kanthers niedersächsischer Amtskollege Gerhard Glogowski (SPD). Damals attestierte Kanther der Jugendorganisation "Wesensverwandtschaft mit der NSDAP und der Hitler-Jugend". Zugleich untersagte er, "Ersatzorganisationen zu bilden".

Zuvor hatten zahlreiche Veranstaltungen der WJ im kleinen Hetendorf nahe Celle stattgefunden. Dort unterhielt der Hamburger Neonazi und Rechtsanwalt Jürgen Rieger, der heute den Heisenhof in Dörverden betreibt, von 1990 bis 1998 ein Anwesen. Familien aus dem ganzen Bundesgebiet reisten mit ihren Kindern dorthin, um an volkstümelnden Seminaren, neonazistischen Vorträgen und paramilitärischen Übungen teilzunehmen. Neben der WJ traten Organisationen wie Riegers rassistische Sekte "Artgemeinschaft" bei den "Hetendorfer Tagungswochen" als Veranstalter auf.

1998 verbot Niedersachsens Innenminister Glogowski schließlich den Trägerverein der Tagungsstätte. Gegen das Verbot schöpfte Rieger alle Rechtsmittel aus. Als letzte Instanz musste sich das Oberverwaltungsgericht Lüneburg noch im Jahr 2000 mit Hetendorf befassen, die Richter ließen den Neonazi schließlich abblitzen.

Die jüngsten Verbote rechtsextremer Vereine verhängte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erst Ende Mai: das "Collegium Humanum", die "Bauernhilfe" und den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgter". Die Gruppen mit Sitz in nordrhein-westfälischen Vlotho seien "Sammelbecken organisierter Holocaustleugner", lautete die Begründung.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sagte bereits im Juni vergangenen Jahres vor dem Landtag zu, sich bei seinem Amts- und Parteikollegen Schäuble "mit Nachdruck" für ein Verbot der "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) einzusetzen. Nach der Auflösung des jüngsten Zeltlagers am 7. August im mecklenburg-vorpommerschen Hohen Sprenz haben jetzt auch zahlreiche Schweriner Landespolitiker und der Zentralrat der Juden in Deutschland das Verbot gefordert.


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