Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische ,
11.09.2009 :
Als aus Rzeszów Reichshof wurde / Vor genau 70 Jahren wurde Bielefelds polnische Partnerstadt von der Wehrmacht besetzt
Von Nicolai Pfitzner
Rzeszów. Nachdem sie den Ring um Warschau geschlossen hatte, stieß die Wehrmacht im September 1939 rasch nach Osten bis zum Fluss San vor, der nach dem Molotow-Ribbentrop-Pakt die Grenze zwischen der deutschen und der sowjetischen Besatzungszone bilden sollte. Am 11. September bombardierte die Luftwaffe das nur 80 Kilometer von der Demarkationslinie gelegene Rzeszów, das am nächsten Tag eingenommen wurde.
"Über 80 Rzeszówer starben bereits durch das Bombardement", berichtet Marek Czarnota. Der 60-jährige Historiker und Publizist, der in der Rzeszower Stadtverwaltung arbeitet, hat mehr als zwanzig Bücher zu regionalhistorischen Themen geschrieben und kennt sich in der Geschichte seiner Heimat bestens aus. "Rzeszów wurde am 11. September nur noch leicht verteidigt."
Fast alle wehrfähigen Männer waren nach dem deutschen Überfall an die Westfront eingerufen worden. "In Rzeszów selbst gab es nur noch eine Garnison, die aus zwei Kompanien, also etwa zweihundert Mann, bestand", berichtet er.
Zu größeren Kampfhandlungen kam es in Rzeszow nach dem Beschuss der Luftwaffe nicht mehr, "lediglich zu kleineren Scharmützeln", etwa an der Brücke über den Fluss Wislok. "Im Grunde war die Stadt wehrlos."
Bis Ende Oktober 1939 stand Rzeszów zunächst unter deutscher Militärverwaltung, dann wurde es Teil des so genannten "Generalgouvernements", in dem die nicht direkt Deutschland angegliederten Teile Polens zusammengefasst wurden.
Die polnische Verwaltung wurde abgesetzt und die Stadt dem Kreishauptmann Heinz Ehaus unterstellt. "Der war übrigens ein Schwager der Frau Heinrich Himmlers", fügt Czarnota mit Sinn für eine bittere Pointe hinzu.
In der langfristigen Planung der Nationalsozialisten sollte das gesamte Generalgouvernement "germanisiert", die Polen nach Osten vertrieben und stattdessen Deutsche angesiedelt werden.
"Erschießungen von Juden und Partisanen"
Anders als in anderen Gegenden des Generalgouvernements kam es in Rzeszów und Umgebung während des Krieges aber noch zu keiner systematischen deutschen Kolonisation. "Vor Ort wurden nur die deutschen Besatzungssoldaten einquartiert, doch die beschlagnahmten die größten Villen und die besten Wohnungen."
Daneben gab es einige deutsche Zivilisten, die Geschäfte, Hotels und Restaurants betrieben, die vor allem den jüdischen Eigentümer sofort nach dem deutschen Einmarsch entzogen worden waren. "Die besseren Läden und Gasthäuser durften von Polen nicht mehr betreten werden", sagt Czarnota, "und sogar das ehemalige allgemeine Krankenhaus war 'nur für Deutsche'", fügt er auf Deutsch hinzu.
Vor allem in den ersten Wochen der Besatzung gab es "Massenerschießungen von Juden und Partisanen". Später wurden vor allem Juden systematisch ins etwa zweihundert Kilometer entfernte Konzentrationslager Auschwitz deportiert.
Im Alltag "hing alles von der handelnden Person ab", und neben zynischen Besatzern habe es "auch kultiviertere" gegeben. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 verschlechterte sich die Lage der Rzeszower weiter.
"Die Beschlagnahmungen für den Bedarf der Wehrmacht nahmen zu, es herrschte Hunger." Im selben Jahr wurde Rzeszów in "Reichshof" umbenannt.
Woher der Name kommt? Czarnota fasst sich an den Kopf: "Dem lag eine falsche Übersetzung des polnischen Namens zugrunde." Am 2. August 1944 eroberte die Rote Armee Rzeszow. Wurde die Lage danach besser? "Zumindest gab es keine willkürlichen Erschießungen auf offener Straße mehr", sagt Czarnota bitter. Bis zum Ende des Krieges gegen Deutschland herrscht aber auch die Rote Armee mit großer Härte.
Von den etwa 40.000 Vorkriegseinwohnern Rzeszóws (davon ein Drittel Juden) überleben nach Schätzungen etwa 12.000 den Krieg nicht.
Bildunterschrift: Parade der Wehrmacht vor dem Rzeszower Rathaus 1939: Das Grauen kam mit der Wehrmacht auch in die heutige Partnerstadt Bielefelds - Hakenkreuze am Rathaus sind ihr Sinnbild.
Bildunterschrift: Rzeszower Historiker: Marek Czarnota.
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