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Neue Westfälische 11 - Bünde , 01.11.2016 :

Poesie und Prosa für ein Miteinander

"Einstimmig mehrstimmig": Mit einer intensiven Lesung eröffnen fünf Autoren aus der Region die Veranstaltungsreihe "Erinnern heißt Partei ergreifen" der "Initiative 9. November Bünde"

Von Ralf Bittner

Bünde. Wie fühlt es sich an, wenn aus Spiel Ernst wird, der Freund beim Spiel von einer Kugel getroffen tot zusammenbricht, am Abend bevor die Flucht aus dem Krieg ins ferne Deutschland beginnen soll? Mit ihrer dichten Geschichte "Samirs Bart" eröffnet die Bielefelder Autorin Antje Dossmann die gut zweistündige Lesung "Einstimmig mehrstimmig" in der Villa Kunterbunt.

Wie im vergangenen Jahr ist die Lesung um Organisator und Autor Ralf Burnicki Teil der von der "Initiative 9. November" veranstalteten Reihe "Erinnern heißt Partei ergreifen". Damit möchte die Gruppe - ausgehend vom Erinnern an den 9. November 1938 -, dem Tag als der nationalsozialistische Terror gegen jüdische Mitbürger den vorläufigen Höhepunkt fand, auf Kontinuitäten und aktuelle Entwicklungen aufmerksam machen und Diskussionen anstoßen.

"Lesung gegen Rassismus - für mehr Miteinander und Solidarität" heißt der Abend, der auch Fragen stellt wie "Wohin gehen wir?" oder danach fragt, wie sich die Sprache dagegen wehren kann, als Waffe vereinnahmt zu werden. Dazu verlassen die Autoren die Ebene der Sprache und bedienen sich auch des Mittels des Films.

Der Bielefelder Lyriker Hans-Dieter Elbracht kombiniert Fotos und politische Lyrik, wendet sich in "Mörderlust" gegen Neonazis oder beschäftigt sich im Text "Sprachbetrug" mit dem schönfärbenden Sprechen über den Krieg: "Er ist im Krieg gefallen heißt im Klartext: er wurde in Stücke gerissen."

Martin Bronisch, Herausgeber des OWL-Literaturmagazins "Tentakel" liest Gedichte der rumänischen Lyrikerin Carolina Ilica. Nicht direkt politisch erzählt sie in "Bewaldung", "Priori" oder "Der Bär" von der Sehnsucht nach Leben, Liebe, und der Kraft, die sich aus sozialem Miteinander ergibt. "Ich soll dir einen Baum zeichnen in jedem Brief, ich soll dir die Landschaft bewalden", bittet ein in der Wüste lebender Freund die Autorin. Brief für Brief, Bild für Bild entsteht ein Wald aus Zeichnungen an der Fensterscheibe. Welch ein Bild für die Kraft der Sprache und den Glauben, dass sich alles zum Besseren wenden lässt.

Wieder dabei ist Jugend-Schreibt-Preisträgerin Christine Zeides. Die Autorin aus Bünde studiert inzwischen in Berlin und stellt sich mit Zwischenspielen auf der Gitarre - zu hören ist etwa "Ein Tag im November" von Leo Brouwer - auch als Musikerin vor.

In kurzen "Logbuch"-Einträgen betrachtet sie die "Wir sind das Volk" skandierenden Pegida-Massen. Getarnt als Schwarm seien die Ratten im Dunkeln auf den Straßen, formuliert sie - um gleich darauf zu fragen, ob diese Form der kritischen Herabwürdigung erlaubt sei. "Es ist nicht leicht, fair zu sein gegen die, die selbst nicht fair spielen", schreibt sie, formuliert Sätze wie "Das ist doch wie damals, das ist heute - Fortsetzung folgt" und fragt sich, wie so viele Leute - um die deutsche Geschichte wissend - sagen können: "Es wird schon gutgehen."

Mit Verdrängen und Vergessen in "schönen Städten" beschäftigt sich Burnicki, beschreibt pittoreske Häuschen mit weißen Flächen, handgemalten Inschriften und schwarzen Balken, schönen Schein über dunklen Epochen der Geschichte, gleich einer Brandverordnung für Geschichte: "Bloß keine Bücher wecken". Auch hier läuft es auf die Frage "Wo gehen wir hin?" hinaus, eine Frage, die die 35 Zuhörer noch lange beschäftigen dürfte in einiger Zeit, in der das "Woher kommen wir" zu vergessen werden droht.

Bildunterschrift: Ein Tag im November: Christine Zeides spielt ein Stück des Komponisten Leo Brouwer. Später liest sie wie Ralf Burnicki (im Hintergrund) eigene Texte. Sie sind zwei der Autoren, die die Lesung "Einstimmig mehrstimmig" gestalten.

Bildunterschrift: Antje Dossmann: Die Bielefelderin liest "Samirs Bart".

Bildunterschrift: Lyrik: Matthias Bronisch liest Texte von Carolina Ilica.

Bildunterschrift: Text und Bild: Hans-Dieter Elbracht kombiniert beides.

Meuten und Edelweißpiraten - Opposition bei den Nazis

"Meuten, Swings und Edelweißpiraten - Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus" ist der Titel eines Vortrags des Leipziger Historikers Sascha Lange. Der beginnt am Donnerstag, 3. November, 19 Uhr, in den Räumen der Alevitischen Gemeinde, Kaiser-Wilhelm-Straße 2.

In vielen deutschen Städten gründeten sich zwischen 1933 und 1945 Jugendgruppen, die sich dem NS-Regime verweigerten und eigene Subkulturen mit eigenem Dresscode, eigenen Liedern und eigener Freizeitgestaltung pflegten. Vielerorts führte das auch zu direkten Konfrontationen mit der Hitlerjugend.

Lange stellt Originaldokumente vor und gibt eine Übersicht über oppositionelles Verhalten selbstbestimmter, autonomer Gruppen von Jugendlichen während der NS-Zeit, nimmt aber auch die Entwicklung der HJ in den Blick.

Veranstaltet von der Initiative 9. November Bünde.

01./02.11.2016
buende@nw.de

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