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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West , 02.12.2014 :

Polizei stellt sich ihrer Geschichte / Bielefelder Behörde arbeitet erstmals Verstrickungen in der Nazi-Zeit auf

Von Jens Reichenbach

Bielefeld. In den 1980er Jahren begann in deutschen Polizeibehörden erstmals eine kritische Betrachtung der eigenen NS-Vergangenheit, 2011 feierte die Deutsche Polizeihochschule die erste bundesweite Ausstellung zu dem Thema. Seit gestern ist ein Teil dieser Ausstellung unter dem Titel "Ordnung und Vernichtung - die Polizei im NS-Staat" auch im Bielefelder Polizeipräsidium zu sehen. Das Besondere: Ein Teil beschäftigt sich erstmals konkret mit den Nazi-Verstrickungen der Bielefelder Polizei.

Jochen Rath und Bernd Wagner vom Stadtarchiv sowie Norbert Horst von der Polizeibehörde haben zu einigen Aspekten der niedersächsischen Wanderausstellung Bielefelder Beispiele gesucht und wurden dabei mit einer schwierigen Aktenlage konfrontiert: "Luftangriffe im Herbst 1944 haben viele Akten zerstört", erklärt Rath. "Am Ostermontag 1945 gab es außerdem die Anweisung, nun auch die Restakten zu vernichten." Das habe die Quellenauswertung unheimlich schwer gemacht. Laut Polizeipräsidentin Katharina Giere war diese Ausstellung 2013 im Mindener Verwaltungsgericht die Initialzündung: "Wir wollten diese wichtige Ausstellung auch hier präsentieren. Dabei kam die Frage auf: Hat die Bielefelder Polizei ihre Vergangenheit bereits aufgearbeitet?" Das hatte sie nicht - im Gegensatz zu den damals großen Polizeibehörden, die offensichtlicher in die Nazi-Gräuel verstrickt waren.

Trotz der mangelhaften Aktenlage wurde den Historikern klar, dass auch die Bielefelder Polizei Teil eines verstrickten Systems war, in dem sie als Trägerin staatlicher Gewalt auch an Wehrmachts-Verbrechen, Unterdrückung und Deportationen beteiligt war.

Verwaltungspolizei, Schutzpolizei, Kripo, Sicherheits- oder Staatspolizei: "Verstrickt war der ganze Apparat", betont Rath. 95 bis 97 Prozent der Polizisten waren NSDAP-Mitglieder. Seit August 1934 fanden wöchentlich Vorträge zu nationalsozialistischen Themen statt. Am 10. Dezember 1941 etwa hieß ein solcher Vortrag: "Bolschewismus - jüdisches Untermenschentum". Der Vortrag wurde unmittelbar vor einer der neun Deportationen gehalten, die die Bielefelder Außendienststelle der Gestapo organisierte - nach Riga. "Ein Zufall? Zur gleichen Zeit holten Mitglieder der Ordnungs- und Kriminalpolizei die Menschen, die für die Deportation vorgesehen waren, von zu Hause ab, versiegelten deren Wohnungen oder Zimmer und brachten sie ins Sammellager", so Rath.

Bielefelder Polizeikontingente wurden außerdem immer wieder in besetzte Gebiete abgeordnet. Offiziell, um den Aufbau der Verwaltung und die örtlichen Polizeikräfte zu unterstützen, später, um gegen Partisanen und Banditen zu kämpfen. Laut Dirk Götting vom Polizeimuseum Niedersachsen eine täuschende Formulierung: "Alles klingt nach Kriminalitätsbekämpfung, tatsächlich haben Polizeibataillone die Bewohner ganzer Dörfer getötet." Er spricht von Mordkommandos. Alfred Brodowski aus Bielefeld sei etwa Mitglied des Polizeibataillons 320 gewesen, das an der Ostfront an Vernichtungs- und Vergeltungsaktionen beteiligt war, denen etwa 45.800 Menschen zum Opfer fielen.

Trotz solcher Erkenntnisse blieb die Entnazifizierung nach dem Krieg meist ohne große Folgen für die Täter. Brodowski war einer von 30 Hauptbeschuldigten, trotzdem wurde das Verfahren eingestellt. "Viele Verantwortliche fielen auf die Füße", so Rath. Polizeihauptmann Gustav Speckmann, der sich in Bielefeld "unmöglich gemacht" hatte, übernahm schon in den 1950er Jahren die Leitung der Kreispolizei Höxter.

"Ordnung und Vernichtung"

Die Ausstellung "Ordnung und Vernichtung - die Polizei im NS-Staat" ist bis Freitag, 12. Dezember, zwischen 10 und 15.30 Uhr im Foyer des Polizeipräsidiums Bielefeld, an der Kurt-Schumacher-Straße 46, zu besichtigen. Sie beginnt mit dem Übergang von der Weimarer zur NS-Polizei, stellt die Neuformation 1936 dar, fragt nach dem Widerstand innerhalb der Behörde und berichtet von folgen-armen Entnazifizierungen und der juristischen Aufarbeitung in den 1960er Jahren.

Bildunterschrift: Ausreden, Persilscheine und wenig Fakten: Polizeipräsidentin Katharina Giere (v. l.) lässt sich von Dirk Götting und Jochen Rath die folgen-armen Entnazifizierungsversuche nach dem Krieg auch innerhalb der Bielefelder Behörde erklären.

Bildunterschrift: Brennende Synagoge: Die Polizei interessierte sich am 9. November 1938 nicht für die Brandstiftung an der Turnerstraße.

Bildunterschrift: Deportation: Polizeioberwachtmeister Richard Adank vor einem Bus, der Juden vom Kesselbrink zum Bahnhof bringen wird.


bielefeld@nw.de

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