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Junge Linke Lippstadt , 09.11.2003 :

Nichts und niemand wird vergessen! / Nie wieder Faschismus!

Heute, am 9. November 2003, haben wir uns hier versammelt, um an die Geschehnisse der Reichspogromnacht in Lippstadt, sowie ganz Deutschlands während des Nationalsozialismus, zu erinnern und einem kollektiven Vergessen entgegen zu wirken.

"Zum ersten Male sind heute Nationalsozialisten in das Stadtparlament eingezogen. Wir sind bereit jedem, der es ehrlich meint, die Hand zu reichen. Wir sind aber ebenso entschlossen, jedem die erbittertste Feindschaft anzusagen, der sich den Zielen der nationalen Bewegung in den Weg stellt." Diese drohenden Worte des NSDAP-Vorsitzenden Stahl läuteten die Nazi-Schreckensherrschaft in Lippstadt ein.

Die Drohung wurde für 96 Ex-KPD-Mitgliedern nach ihrer Auflösung wahr und sie wurden in Schutzhaft genommen. 50 von ihnen wurden später in die KZs Oranienburg und Börgermoor abtransportiert. Am 12. März gelang es der NSDAP auch den amtierenden Bürgermeister Holle durch Korruptionsvorwürfe absetzen zu lassen. Wahrer Grund waren Differenzen mit den Nazis und der Widerstand gegen das Hissen der Harkenkreuzfahne.

Am schwersten aber traf die Jüdinnen und Juden der nationalsozialistische Terror. Tage vor dem eintägigen Boykott jüdischer Geschäfte am 01.04.1933 wurde die psychische und physische Vernichtung der Lippstädter unter den Augen der Öffentlichkeit vorbereitet. Beamte, Angestellte und Arbeiter schlossen sich dem Boykott an und verteilten keine Aufträge an jüdische Geschäfte. Das Nürnberger Rassengesetz, das am 15. September verabschiedet wurde, verschärften die Situation der Jüdinnen und Juden abermals. Das Gesetz beinhaltete die Entziehung aller Staatsbürgerrechte für Juden. Ein Attentat auf den deutschen Gesandtschaftssekretär Ernst von Rath in Paris, nahmen sie als Vorwand die Reichspogromnacht in der Nacht des 9. Novembers 1938 durchzuführen. Wie auch in anderen Städten wurde in Lippstadt die jüdische Synagoge niedergebrannt, und alle jüdischen Geschäfte demoliert. Die Täter waren hier nicht nur Nazis, sondern auch "normale" Deutsche, die aus der Mitte der Gesellschaft kamen. Jüdinnen und Juden, die sich auf offener Straße zeigten, wurden brutal zusammengeschlagen. 23 Lippstädter Juden wurden verhaftet und in das KZ Oranienburg abtransportiert. Insgesamt wurden in Deutschland in dieser Nacht ca. 7.000 jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet und zerstört. 26.000 jüdische Männer und Jugendliche wurden von den Nazis in die KZs Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen deportiert. Sie konnten nur bei Unterzeichnung einer Auswanderungserklärung "frei" gelassen werden. 91 Juden kamen in dieser Nacht ums Leben und 2.676 jüdische Gottes- und Gemeindehäuser wurden von den Nationalsozialisten niedergebrannt. Die nach dem Brand angefallenen Kosten von 249 Reichsmark wurden der nicht mehr existierenden lippstädter jüdischen Gemeinde in Rechnung gestellt.

Ab dem 01.01.1939 mussten alle Juden den Namen "Sarah" oder "Israel" annehmen. Zusätzlich wurden sie gezwungen ihre Geschäfte an (sogenannte) "arische" Interessen weit unter Wert zu verkaufen. Am 19. September 1941 wurde der Davidsstern als Kennzeichen eingeführt. Anfang April 1942, kurz vor Beginn der Lippstädter Deportation in Todeslager, lebten noch 18 Juden in Lippstadt. Davon waren zweidrittel Frauen. Ende April wurden 5 in einen Sammeltransport nach Dortmund gebracht. Am 27. April wurden sie mit 1.000 westfälischen Juden nach Lublin, einer Durchgangsstation zum Vernichtungslager Belzec, deportiert. Nach dem 29. Juli gab es in ganz Lippstadt durch weitere "Umsiedlungen" und Deportationen bedingt, nur noch 4 jüdische Einwohner. Ihr weiterer Verblieb ist ungeklärt.

Gegen Ende des Krieges waren 6 Millionen Angehörige aus anderen Ländern deportiert ins Deutsche Reich. Der Großteil von ihnen kam aus den östlichen Ländern Polen, Rumänien, Ungarn und Russland. Schon im Mai 1940 waren es 1,2 Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. In Lippstadt selbst arbeiteten 1.700 russische Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie, vornehmlich der WMI - heute besser als Hella bekannt, und waren in geschlossenen Lagern untergebracht. Im Oktober 1940 waren 3.483 Zwangsarbeiter in 93 Lippstädter Haushalten und Betrieben untergebracht.Im Kreis Lippstadt gab es 17 Lager für jeweils 10 bis 200 Personen. In der Stadt selbst gab es 4 Lager für insgesamt über 200 Personen. Bis heute wurde fast keinem Zwangsarbeiter eine Entschädigung gezahlt.

Um diese Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen stehen wir heute hier.

Nichts und niemand wird vergessen! Nie wieder Faschismus!


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