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Vlothoer Anzeiger , 11.08.2011 :

Rechte Propaganda in der Stadt / Simon Niemann erhält Flugblätter mit extremem Gedankengut / AKE lüftet Deckmantel

Von Michaela Podschun

Vlotho (va). "Rettet die Kinder" ist die "Broschüre" betitelt, die Simon Niemann kürzlich von einem älteren Herren in der Innenstadt in die Hand gedrückt bekam. Der Exteraner wurde sofort stutzig und hakte nach.

Obskure Bilder, die angeblich einen abgetriebenen Fötus zeigen sollen, gefolgt von einem islamfeindlichen Text und der Hinweis auf die Partei "Christliche Mitte" als Kontaktadresse machten ihn skeptisch und ärgerlich. Die Vermutung liegt nah, dass es sich bei der Broschüre um radikales Gedankengut handelt.

Simon Niemann ging mit den als Broschüre gefalteten Flugblättern zum AKE-Bildungswerk. Karsten Wilke von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" stuft die Flyer als rechte Propaganda ein. Die Broschüre einer "Vereinigung zum Schutze schwacher und hilfloser Menschen" mit Sitz in Lippstadt nahm er unter die Lupe. Ein erster Blick mache klar, dass es sich um eine Schrift so genannter "Lebensschützer", also radikaler Abtreibungsgegner, handele. Kontaktadresse sowie eine eingelegte Flugschrift verweisen auf die Partei "Christliche Mitte" (CM). "Die CM wurde im Jahre 1988 gegründet, das Handbuch Deutscher Rechtsextremismus bezeichnet sie als christlich-fundamental. Ihre Hauptanliegen sind danach ein vollständiges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, der Kampf gegen Homosexualität und der Kampf gegen Muslime", sagt Karsten Wilke.

Entsprechend werbe die Flugschrift für eine Dokumentation mit dem Titel "Muslime erobern Deutschland". Darin werde Allah als "falscher Gott" bezeichnet. Der Islam strebe nach der Weltherrschaft. Als "Strategie der Eroberung", so die Flugschrift, nähmen Muslime vermehrt die deutsche Staatsbürgerschaft an. Nur zum Schein würden sie sich zu Demokratie und Toleranz bekennen. Stattdessen seien "wahre Muslime" grundsätzlich bereit zur Gewalt.

Karsten Wilke erklärt, das Flugblatt unterstelle, schon heute seien "Spannungen zwischen Muslimen und deutschen Bürgern zu beobachten, die in Einzelfällen bürgerkriegsähnliche Charakter" aufwiesen. "Die Flugschrift der Christlichen Mitte bedient das Muster eines vergleichsweise neuen und in Deutschland bisher noch wenig beachteten Phänomens: Es handelt sich um Islamfeindlichkeit als politisches Programm. Das Beispiel der Niederlande zeigt die große Gefahr, die von dieser politischen Strömung ausgeht." Dort sei die "Partei für die Freiheit" des Rechtspopulisten Geert Wilders an der Regierung beteiligt. Die in Deutschland prominenteste Vereinigung ist die Partei "pro NRW", die vor allem durch ihre Proteste gegen den Bau von Moscheen und durch ihre Versuche, in Köln "Anti-Islam-Kongresse" durchzuführen, aufgefallen ist.

"Intolerant und menschenverachtend"

Die "Vereinigung zum Schutz schwacher und hilfloser Menschen" erscheine als Ableger der Partei "Christliche Mitte", so Karsten Wilke. Ihr so genannter "Lebensschutz" beruhe laut Parteiprogramm auf einem "gottgewollten Naturrecht". "Doch statt christliche Toleranz vorzuleben, diffamiert sie Menschen muslimischen Glaubens. In ihrem Verständnis gilt Homosexualität als Sünde, und Schwangerschaftsabbrüche werden als "größtes Verbrechen unserer Zeit" dargestellt", erläutert der AKE-Mitarbeiter.

Ihm ist es wichtig, auf den intoleranten und sogar menschenverachtenden Kern dieses vorgeblich christlichen "Lebensschutzes" hinzuweisen. Das sieht Simon Niemann genauso: "Unter dem Deckmantel von Religion und Wissenschaft wird rechte Propaganda verbreitet und dabei auf die Unwissenheit der Bürger spekuliert. Manch einer setzt sich nicht damit auseinander." Es könne nicht sein, so Simon, dass die Öffentlichkeit wegschaue. "Solch extremes Gedankengut wird eben auch in einer Kleinstadt wie Vlotho verteilt. Gerade angesichts des verbotenen Collegium Humanum müssen wir alle aufmerksam sein."

Der Exteraner informierte sich auch bei der Stadt Vlotho, ob Flugblätter generell in der Stadt verteilt werden dürfen. Laut Auskunft von Gerhard Geier, Teamleiter des Geschäftsbereich Allgemeine Dienste, erlaubt das Gesetz die Verbreitung von Informationen. Vorausgesetzt: Der Inhalt ist nicht grob anstößig oder kriminell. "Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut", so Geier. Im Gegensatz zu einem Info-Stand bedarf es für die Verteilung von Flugblättern ganz allgemein keiner Genehmigung.

Auf Ratschlag von Gerhard Geier ist Simon Niemann auch zur Polizei gegangen, um die Beamten über die Verteilung dieser Flugblätter zu informieren. Er selbst will auf jeden Fall weiterrecherchieren.

Bildunterschrift: Karsten Wilke vom AKE.

Bildunterschrift: Simon Niemann erhielt in der Innenstadt eine Broschüre mit zweifelhaftem Inhalt. Dass rechte Propaganda verbreitet wird, macht ihn ärgerlich.



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