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Neue Westfälische 14 - Paderborn (Kreis) , 10.08.2011 :

"Meine Großeltern, die Nazis" / Moritz Pfeiffer und seine exemplarische Familiengeschichte

Büren-Wewelsburg (NW). Das Foto zeigt ein glückliches Brautpaar in einer blumengeschmückten Hochzeitskutsche, er in der Uniform eines Leutnants der deutschen Wehrmacht, sie im typischen dunklen Kostüm der Kriegsjahre. Diese beiden jungen Menschen sind die Protagonisten, deren Erinnerungen an den Nationalsozialismus 60 Jahre später die Grundlage einer exemplarischen innerfamiliären deutschen Vergangenheitsaufarbeitung bilden sollten.

Wie haben die eigenen Eltern oder Großeltern den Nationalsozialismus erlebt? Was haben sie geglaubt, übersehen, mitverantwortet und erlitten? In seinem Vortrag vor rund 80 Zuhörern im Burgsaal der Wewelsburg stellte der Historiker Moritz Pfeiffer Methoden und Chancen einer wissenschaftlichen Recherche während seines Geschichtsstudiums anhand seiner mehrjährigen Spurensuche zur NS-Vergangenheit seiner Familie vor. Basis dafür waren die Erinnerungsinterviews und der Abgleich mit zeitgenössischen Quellen wie Urkunden, der Wehrmachts-Personalakte des Großvaters und den Kriegstagebüchern seiner entsprechenden Militäreinheit.

Der international bekannte Sozialpsychologe Harald Welzer referierte bereits des Öfteren in der Wewelsburg. Er geht davon aus die Deutschen erfreulich viel über den Nationalsozialismus wüssten. Die Verbrechen und die deutsche Verantwortung seien allgemein akzeptiert, die eigenen Vorfahren würden jedoch aus diesem historischen Kontext ausgeklammert. Sofern in deutschen Familien überhaupt über die Zeit zwischen 1933 und 1945 gesprochen würde, würden in der Wahrnehmung der Kinder und Enkel häufig aus ursprünglich systemkonformen Eltern oder Großeltern NS-kritische, manchmal gar dem Widerstand zugerechnete, Vorfahren. Eine repräsentative Umfrage 2002 durch Emnid habe diesen Befund bestätigt.

Das Wissen über Nationalsozialismus und Holocaust bezögen vor allen Dingen jüngere Menschen aus TV, Schule, Büchern und Zeitschriften. "Auf dem letzen Platz unter den Informationsquellen rangieren die familieninternen Zeitzeugen", so Pfeiffer.

In ihrer Durchschnittlichkeit und Normalität seien seine Großeltern ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Nationalsozialismus, seine Verheißungen, Parolen und Inszenierungen von der breiten Gesellschaft angenommen, und wie letztlich auch seine Ausgrenzung und Verbrechen im Beisein, Mitwirken und Wegschauen der "ganz normalen Deutschen" verübt wurden.

Sprachen die Großeltern in ihren Erinnerungen der Propaganda für Großereignisse wie die Olympischen Spielen eine große Bedeutung zu, so maßen sie den Medien im Bezug auf die Berichterstattung zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, wie etwa. der Pogromnacht, keine besondere Wirkung bei. Ein anderer Widerspruch zeigte sich bei der Befragung zu Exekutionsbefehlen in der 6. Armee, der der Großvater angehörte. In seiner Erinnerung ging es hier ausschließlich um SS-Befehle nur für SS-Einheiten. So habe sich zunächst bei beiden Befragten eine konsequente Abwehr persönlicher Schuld und eine Verharmlosung der eigenen Rolle gezeigt. Die Parteimitgliedschaft der Großmutter wurde zum Beispiel verschwiegen. "Wo die schlimmen Sachen" passierten, seien sie nicht gewesen.

Diese Analyse seines Wissensstandes bezüglich des Juden-Mords entspricht auch einer Auswertung von Gesprächen von Wehrmachtssoldaten, die in alliierter Gefangenschaft abgehört wurden. Sie belegen, dass die Ermordung der Juden offensichtlich zum allgemeinen Kenntnisstand von Wehrmachtssoldaten aller Waffengattungen gehörte.

Selbst zurückhaltende Schätzungen gehen heute von 20 bis 25 Millionen deutschen "Mitwissern" des Holocausts aus, bei insgesamt 200.000 Täterinnen und Tätern.

Bildunterschrift: Auf Spurensuche: Moritz Pfeiffer in der Wewelsburg.


lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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