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Lippische Landes-Zeitung , 10.08.2011 :

Interview / "Ein Zeichen der Versöhnung" / Gertrud Wagner über ihren Arbeitseinsatz auf einem jüdischen Friedhof in Litauen

18 Lipper brechen im August zu einem Projekt ins litauische Städtchen Birzai auf. Dort wollen sie den verwahrlosten jüdischen Friedhof pflegen.

Detmold. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren etwa 40 Prozent der Einwohner Birzais jüdischen Glaubens. Über das Projekt berichtet Gertrud Wagner von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Frau Wagner, wie sind Sie darauf gekommen, sich ausgerechnet der Pflege eines jüdischen Friedhofs in Litauen zu widmen?

Gertrud Wagner: Nach unserem ersten Besuch 2003 waren wir 2010 erneut in Birzai bei der kleinen reformierten Gemeinde zu Gast. Wie schon acht Jahre zuvor ist uns wieder der große, aber verwahrloste jüdische Friedhof aufgefallen. Da kam uns die Idee, etwas für die Pflege der Grabstätte zu tun. Das Projekt soll auch ein Zeichen der Versöhnung sein.

Mit Versöhnung meinen Sie die von Deutschen während des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen in Litauen?

Wagner: Ja. Das Projekt soll ein Anstoß zur Erinnerung an die jüdischen Menschen und die dunkle deutsch-litauische Geschichte sein. Auch Litauer haben die Deutschen damals bei der Juden Verfolgung unterstützt. Das litauische Parlament hat zwar in diesem Jahr zur Erinnerung an die jüdische Geschichte aufgerufen, trotzdem sind Verfolgung und Vernichtung der Juden in Litauen immer noch ein Tabuthema.

Warum ist das so?

Wagner: Litauen hat nicht nur unter der deutschen Besatzung, sondern auch unter der späteren stalinistischen und sowjetischen Herrschaft gelitten. Das überstrahlt bis heute alles, was davor passiert ist. Das vermute ich, einer von mehreren Gründen, warum sich viele wie in Birzai bis jetzt kaum mit ihrer jüdischen Vergangenheit befasst haben.

Haben Sie keine Angst, als "deutsche Moralapostel" wahrgenommen zu werden, die als eigentliche Verursacher der Juden-Verfolgung jetzt den Menschen zeigen wollen, wie man "richtig" mit seiner Geschichte umgeht?

Wagner: Das ist einen hohe Bürde, über die wir aber intensiv gesprochen haben. Es wird viel von unserem Auftreten abhängen. Uns ist es aber wichtig, etwas zu tun. Und einiges haben wir mit unserem Projekt in Birzai ja schon bewirkt.

Was hat sich denn getan?

Wagner: Zum Beispiel hat eine litauische Schülergruppe bereits mit der Pflege angefangen. Die Bürgermeisterinnen Birzais sind von dem Projekt sehr angetan, die Gerätschaften stellt die Stadt. An einem von zwei Massengräbern in Birzai wird es bei unserem Aufenthalt eine Gedenkfeier geben, bei der auch Landessuperintendent Martin Dutzmann ein Gebet sprechen wird. Außerdem wird er bei einem Gottesdienst predigen und bei der Pflege des Friedhofs mitarbeiten.

Wie genau stellen Sie sich Ihre Arbeit dort vor?

Wagner: Wir wollen in erster Linie die Gräber von Unkraut und Sträuchern befreien. Zwei unserer Reisegruppe waren schon wieder in Birzai und haben mit dem Gartenbauamt der Stadt einen Plan für den Arbeitseinsatz erstellt.

Soll ihr Projekt eine einmalige Aktion bleiben?

Wagner: Nein. Eine Jugendgruppe der evangelischen Gemeinde Bergkirchen will den Friedhof in Birzai kommendes Jahr weiter pflegen.

Das Interview führte LZ-Volontär Patrick Bockwinkel.

Bildunterschrift: Auf nach Litauen: Gertrud Wagner zeigt auf die Stelle im Atlas, wo das litauische Städtchen Birzai liegt. Sie und 17 andere Lipper werden dort den jüdischen Friedhof pflegen.

Im Norden Litauens

Das Städtchen Birzai hat etwa 17.000 Einwohner und liegt im Norden Litauens an der Grenze zu Lettland. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren etwa 40 Prozent der Einwohner Birzais Juden. Das Projekt zur Pflege des jüdischen Friedhofs dort wird von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Lippe und der Lippischen Landeskirche organisiert. Letztere trägt die Übernachtung und Verpflegung der 18 Reisenden, den Flug und den Bustransfer zahlen sie selbst.


detmold@z-online.de

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