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Neue Westfälische 13 - Lübbecke (Altkreis) , 10.08.2011 :

"Villen stehen auch für Rassenhass"

Lübbecke (nw). Zur ersten Folge der Serie "Markante Bauwerke" (NW vom 8. August) merkt ein Leser aus Lübbecke an:

Die Serie begann mit einem "bewegenden Stück Stadtgeschichte", wie der Autor Thomas Merten schreibt. Allerdings bedarf der Text einiger Richtigstellungen und Ergänzungen.

Richtig ist, dass beide Unternehmer-Villen für eine erfolgreiche Wirtschaftsgeschichte in Lübbecke stehen. Sie stehen aber auch für eine Geschichte von Rassenhass, Mord, Enteignung ("Arisierung" jüdischen Eigentums unter Druck durch Dirks) und Vertreibung. Das sollte deutlicher berichtet werden! So erzählte vor Jahren Marianne Ruben (verheiratete Miriam Schimoni, Tel Aviv) von ihren Schrecken und Ängsten, als in der Pogromnacht NS-Schergen die Villa verwüsteten. Sie hatte sich, als Stiefel ihr Kinderzimmer zertraten, zusammengekauert unter ihrem Bett versteckt. Die Eltern flüchteten mit ihr und dem Bruder Thomas nach England. Die Mutter, übrigens 1903 geboren, studierte nicht Jura sondern Soziologie und promovierte in Hamburg zum Dr. phil.

Der Firmengründer Nathan Ruben, von dem es in dem Text diskriminierend heißt, er habe "einen florierenden Hausierhandel" aufgebaut, wurde 1848 als jüdischer Neubürger in Lübbecke vereidigt. Seine Profession wird in der Stadtchronik mit "Leinen- und Drellhändler" angegeben. In der Bürgerrolle der Stadt ist er als "Handelsmann" verzeichnet.

Abschließend seien allen, die sich mit der Geschichte der Jüdischen Kultusgemeinde befassen wollen, die Veröffentlichungen von Dieter Zassenhaus und Volker Beckmann empfohlen. Eine gute Zusammenfassung bietet auch Alexander Räber "Vom Peststein zum Holocaust". Hier und im Anhang von Max Lazarus "Erinnerungen" findet man auch Angaben über die in den KZs Ermordeten, unter anderem der Familie Hecht: Hedwig und Hermann Hecht (in Minsk ermordet), Max Hecht (in Theresienstadt gestorben) und Klara Hecht (in Minsk ermordet).

Gerd H. Nahrwold
Lübbecke

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Neue Westfälische 13 - Lübbecke (Altkreis), 08.08.2011:

Zeugen florierender Wirtschaft / Neue Serie: Markante Bauwerke: Kaufmannsvillen bergen ein bewegtes Stück Stadtgeschichte

Von Thomas Merten

Lübbecke. Beinahe bedrohlich schauen die Wasserspeier an den Seiten der alten Kaufmannsvilla Hecht in der Ostertorstraße auf die Passanten her ab. Vertreiben sollen die Symbole aus der jüdischen Mythologie jedoch nur Böses. Gegenüber steht dessen architektonische Schwester, die Villa Ruben. Nur eingeweihte Lübbecker dürften wissen, wie eng die Geschichte der altehrwürdigen Handelshäuser mit der der Stadt verwoben ist.

Die Geschichte der Villa Hecht beginnt 1832, als das Gebäude zunächst als Gasthaus und Hotel errichtet wird. 1881 kauft die jüdische Kaufmannsfamilie Hecht das Haus auf und richtet dort ihren Leinenhandel, ergänzt mit Produkten aus der eigenen Seilerei, ein. 1901 kommt die Fabrik direkt nebenan dazu. Das Werk ist der erste Stahlbetonbau in ganz Westfalen. Um die Logistik zwischen Verwaltungs- und Produktionsgebäude zu verbessern, wird zwischen den Jahren 1902 und 1905 eine Brückenverbindung im zweiten Stock errichtet.

Die Seile fanden vor allem im Schiffsbau Verwendung, geschäftliche Verbindungen nach Holland sind denkbar, aber nicht bewiesen. Im Haus selbst befanden sich Büro- und Konfektionsräume, wo Mäntel und Blaumänner verkauft wurden. Die Familie Hecht beschäftigte über 100 Mitarbeiter.

"Die jüdischen Familien waren in Lübbecke sehr beliebt, da sie die Wirtschaft stärkten und für Arbeitsplätze sorgten", sagt Stadtführer Günther Niedringhaus. Die Politik der Toleranz gehe auf Friedrich den Großen zurück, der unter anderem auch Hugenotten anwarb. Zu jener Zeit gab es rund 100 Juden in Lübbecke, die Katholiken zählten lediglich 48.

Mit der Zeit lief das Geschäft immer schleppender, da die Stoffpreise im Ausland weiter sanken. Zur Zeit des Nationalsozialismus endete die Firmengeschichte der Hechts mit der Enteignung. Die Villa wurde verkauft. Bis heute ist das Anwesen in Immobilienbesitz der Familie Naue. Das Haus beherbergt Büroräume, unter anderem eine Anwaltskanzlei und Wohnungen. Im Kellergewölbe fand der Jazz-Club Lübbecke ein Zuhause. Sämtliche Umbauten geschahen unter strengen Denkmalschutzauflagen, Fassaden, Fenster und die charakteristischen Ibisse an der Seite wurden dem Originalzustand nachempfunden oder erhalten.

Ähnlich liest sich die Geschichte der farbenfroh verzierten Villa Ruben. Sie wurde um 1870 in der Gründerzeit außerhalb der ehemaligen Stadtmauern erbaut. 1893 erhielt sie einen Gewerbeanbau. Seniorchef des Unternehmens war Nathan Ruben, der einen florierenden Hausierhandel aufbaute und um die Jahrhundertwende starb. Seine beiden Söhne führten das Geschäft fort, von denen einer bei einem Unfall starb.

Auch hier wurden Textilien angefertigt, zuletzt sogar Kleidung für die SA. Nach der Progromnacht 1938 übernahm ein Mitarbeiter namens Dirks die Firma. Der gewerbliche Anbau wurde 1982 abgerissen. Seit 1991 ist das Gelände wieder bebaut. Den prachtvollen Garten im Stil des 18. Jahrhunderts gibt es nicht mehr. Bei der Renovierung der Villa, die unter anderem ein Architekturbüro beherbergt, fielen einige Aspekte unter Denkmalschutz. Dazu gehören der markante schmiedeeiserne Zaun mit verziertem Tor und die Blutbuche, die über 100 Jahre alt ist.

Die Familie Ruben brachte auch eine prominente Person Lübbeckes hervor: Dr. Hilde Ruben, geboren im Jahr 1902, war die erste Frau aus dem Ort, die in Jura promovierte. Sie absolvierte 1930 ihr Studium in Hamburg.

Bildunterschrift: Altehrwürdig: Die in der Gründerzeit errichtete Villa Hecht beherbergt heute Wohnungen und eine Anwaltskanzlei. Die Tür am Bürgersteig führt in den Gewölbekeller, wo Jazz-Konzerte statt finden.

Bildunterschrift: Verspielt: Gegenüber der Villa Hecht liegt das Kaufmannshaus der Rubens, verziert mit schöner Stuckfassade.

Bildunterschrift: Soll Böses fern halten: Eine Figur aus der jüdischen Mythologie.


lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

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