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Blick nach Rechts , 08.08.2011 :

Party gegen braunen Trauermarsch

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Quelle: www.bnr.de/content/party-gegen-braunen-trauermarsch

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Von Andrea Röpke

Bad Nenndorf setzte rund 600 Neonazis friedlichen, bunten Protest entgegen. Blockade von Nazi-Gegnern verhinderte danach einen Folgeaufzug in Bielefeld.

Mittlerweile fühlen sich die Neonazis in der niedersächsischen Kurstadt Bad Nenndorf immer unwohler. Zum sechsten Mal versammelten sich etwa 600 Anhänger vor dem ehemaligen britischen Verhörzentrum der Alliierten, dem Wincklerbad, um für ihre ewiggestrige Ideologie zu demonstrieren. In diesem Jahr hatten sie zusätzlich zum üblichen Aufmarsch noch eine weitere Veranstaltung im nordrhein-westfälischen Bielefeld vor dem Arbeiter-Jugend-Zentrum geplant. Im Anschluss an Bad Nenndorf fuhren knapp 200 Neonazis in die Universitätsstadt, allerdings erfolglos. Eine Blockade antifaschistischer Gruppen verhinderte den braunen Spuk.

Auch in Bad Nenndorf waren sie nicht erwünscht. Während sich Hunderte bunt gekleideter Menschen am Rande der Demonstrationsroute amüsierten, tanzten und aus Protest sangen, verfinsterten sich die Gesichter des Organisationsteams um den mehrfach verurteilten Neonazi Marcus Winter aus Minden.

Mythos vom alliierten Foltergefängnis für NS-Anhänger

Nach langen Jahren des Wegschauens zeigte die kleine Stadt im Weserbergland überzeugend Gesicht. Es machte allen sichtbar Spaß, den Trauerzug der Nazis mit einer eigenen Party-Meile in seine Grenzen zu verweisen. Überall gab es kleine Grillfeste, Privatfeiern oder gar Firmenjubiläen zwischen Bahnhof und Wincklerbad. Fröhliche laute Musik, vom Schlager bis zu Reggaeklängen, dröhnte durch die Straßen. Auch die zentrale Neonazi-Kundgebung mit Redebeiträgen von Dieter Riefling, Andy Knape, Mareike Bielefeld und Sven Skoda ging im Trubel der Feiern fast unter. Die Bad Nenndorfer trauten sich in diesem Jahr, viele zeigten auf einem Riesenplakat Gesicht. In den Jahren zuvor sollen gerade die niedersächsischen Behörden mit dem Versuch der Verkriminalisierung Nazi-gegnerischer Bemühungen Unsicherheit und Ängste verbreitet haben. 2011 machten auch auffällig viele Ältere beim Protest mit.

Für die Neonazis aus der Region um Marcus Winter entspricht Bad Nenndorf immer mehr einem "Schlachtfeld", wie sie es ausdrücken. Eine diesjährige Parole lautete: "Die Wahrheit macht uns frei." Dabei können die Organisatoren den Mythos vom alliierten Foltergefängnis, in dem vor allem ehemalige NS-Anhänger gequält worden seien, kaum noch aufrecht erhalten, wie neueste wissenschaftliche Forschungen belegen. Gemeinsam mit dem Historiker Lutz Anhalt beschäftigte sich Steffen Holz aus Bad Nenndorf jahrelang mit dem "Verhörlager CSDIC No. 74". Beide kamen unter anderem zu der Erkenntnis, dass weniger die einsitzende Nazi-Elite von der Folter betroffen war, als umso mehr vermeintliche Sowjet-Spione. Im Hinblick auf das braune Gedenken stellte Holz gegenüber den "Schaumburger Nachrichten" eine provokante These auf: "Nazis trauern in Bad Nenndorf für ermordete Kommunisten." So soll es sich bei den zwei an den Folgen von Misshandlungen gestorbenen Toten sowie den beiden auf den Riesenplakaten der Neonazis präsentierten ausgemergelten Gefangenen tatsächlich um Personen handeln, die der britische Geheimdienst damals für Kommunisten hielt.

Nur wenige NPD-Kader dabei

Der Protest in Bad Nenndorf zentriert sich auf die Befürchtung, zum extrem rechten "Wallfahrtsort" zu werden. Weniger die wachsenden gewaltbereiten Neonazi-Strukturen zwischen Ostwestfalen und Hannover scheinen Sorgen zu bereiten. Auch Bürgermeister Bernd Reese (SPD) verkündete: "Wir wollen diese importierte Neonazi-Szene nicht."

Tatsächlich reiste ein Großteil der Rechten in diesem Jahr aus dem Rheinland, dem Raum Aachen, Köln, Dortmund und dem Münsterland an. "Besatzer raus" stand auf dem Transparent von Berliner Teilnehmern. Andere trugen Fahnen und Banner aus Chemnitz, Celle, Merseburg, Neuruppin oder Hamburg. "Ersthelfer" benannte Sanitäter unter anderem aus Hessen begleiteten den Aufzug. Zwei junge Frauen trugen einen Kranz. Es folgten auch die "Düütschen Deerns" aus der Lüneburger Heide. Von der NPD waren nur wenige Kader dabei. Die Hauptorganisation teilt sich die Kameradschafts-Clique um Winter und Bernd Stehmann aus Bielefeld, beteiligt schienen auch Thomas Wulff, Axel Reitz sowie der Magdeburger Andreas Biere.

Schweiger sitzt "am großen Tisch der Helden"

"Bad Nenndorf ist das Symbol für die gesamte Entrechtung des deutschen Volkes nach dem 8. Mai 1945", bellte Dieter Riefling laut ins Mikrophon. Der schmächtige Hildesheimer Neonazi versuchte damit den Protest zu übertönen. Tatsächlich mahnte die Polizei immer wieder, der Neonazi-Aufmarsch sei eine "rechtmäßig angemeldete Versammlung" und die Umherstehenden sollten "den Geräuschpegel" senken, ansonsten werde man einschreiten. Riefling schrie weiter: "Wir sind das Herz Europas", begrüßte aber auch die "Kameraden aus dem europäischen Ausland". Andy Knape, NPD-Aktivist aus Sachsen-Anhalt folgte und betonte, "eine wahrhaftige Rede" halten zu wollen.

Der Rückmarsch zum Bahnhof verlief sehr schnell. Dort - abseits jeglichen Protestes bauten sich die Neonazis zur Abschlusskundgebung auf. Neben Sebastian Dahl aus Berlin-Schöneweide, der die Abwesenheit vieler Kameraden wegen des Wahlkampfes in Berlin entschuldigte, sprach unter anderem auch Andreas Biere. Pathetisch erinnerte der Magdeburger Kameradschaftsanführer an sein jüngst verstorbenes österreichisches Vorbild Herbert Schweiger. Der sei schon als 17-Jähriger in die Waffen-SS eingetreten und säße nun "am großen Tisch der Helden".

"30. Januar 1933 ist Tag der Befreiung"

Mit dem jungen US-Amerikaner Parker Wilson durfte auch ein Außer-Europäer sich kurz äußern und das Verhalten der Alliierten Besatzungsmächte nach 1945 verurteilen. Eine junge Frau las die Übersetzung vor. Es wurde geklatscht. Der Dresdner Redner Maik Müller war sich danach sicher, dass "eines Tages der Tag kommt, an dem es endlich wir sein werden, die die Demokraten und ihr menschenverachtendes System im Lokus der Geschichte herunterspülen".

Kurz vor Ende der Veranstaltung schien ein noch junger Neonazi, genannt "Matte aus Dortmund", seine Vorredner an Radikalität noch übertrumpfen zu wollen und brüllte ins Mikrophon: "Es war der 8. Mai 1945 als ein ganzes Volk, unser Volk starb. Es war der dunkelste Tag Deutschlands." "Mattes" Outfit mit rotem Blouson und längeren Haaren entsprach keinem Klischee. Die Rede jedoch war unmissverständlich und einige Polizisten und Pressevertreter schluckten doch, als der junge Mann dann ergänzte: "Der Tag der Befreiung ist der 30. Januar 1933."


nandlinger@bnr.de

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