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Neue Westfälische 14 - Paderborn (Kreis) , 08.08.2011 :

"Draht zu den Besuchern behalten" / Interview: Kirsten John-Stucke, neue Leiterin des Kreismuseums Wewelsburg

Kreis Paderborn. Kirsten John-Stucke (44) aus Unna kam vor mehr als 20 Jahren das erste Mal auf die Wewelsburg. Und ist ihr verbunden geblieben. Seit 1999 war sie stellvertretende Leiterin, seit Juli ist sie nun die neue Leiterin des Kreismuseums. Doch sie kümmerte sich schon während der schweren Krankheit des im Juni gestorbenen Leiters Wulff E. Brebeck, der im September in den Ruhestand gehen sollte, kommissarisch um organisatorische und planerische Dinge für das Hochstift-Museum und die zeitgeschichtliche Dokumentation "Ideologie und Terror der SS". Mit ihr sprach Simone Flörke über Ziele und Pläne, die Bedeutung der Wewelsburg und ihre Arbeit.

Frau John-Stucke, ergänzen Sie bitte den Satz: Wewelsburg ist für mich ...

Kirsten John-Stucke: Erfüllung, Freude an der Arbeit, Ziele zu stecken und diese zu erreichen sowie mit guten Kollegen zu arbeiten.

Sie sind durch den Tod Wulff Brebecks einige Monate früher Museumsleiterin geworden. Bringt das Ihre berufliche oder private Planung durcheinander?

John-Stucke: Nein, da ich schon in den vergangenen Monaten viele Aufgaben von Wulff Brebeck übernommen hatte. Vom Arbeitsaufwand ist das nicht wesentlich mehr. Aber es ist eine emotional traurige Sache: So wollte ich nicht Museumsleiterin werden. Ich hatte mir erträumt, dass mir Wulff Brebeck Ende September die Leitung offiziell überreicht und ich mir anschließend immer noch mal einen Rat holen kann. Er ist für mich ein Mentor gewesen, der mich beraten und mich in meiner Denkweise mitgeprägt hat.

Sie haben bereits in den vergangenen Jahren durch Brebecks Krankheit quasi das Museum geleitet, die Dauerausstellung vorbereitet - was wird sich nun für Sie ändern?

John-Stucke: Jetzt trage ich die ganze Verantwortung. Wir sind 17 Festangestellte, dazu Pädagogen und befristet angestellte Kollegen. Und ich habe keine längere Übergangsphase. Nach Brebecks Erkrankung waren wir absolut gepolt auf die Neueröffnung im April 2010. Da blieb aus zeitlichen Gründen einiges liegen. Wenn er zwischendrin mal wieder da war, weil es ihm besser ging, konnte ich nachfragen: Wie würdest Du das machen? Er hat die Zeit genutzt, um mir Bestände zu erläutern. Das fehlt jetzt.

Was macht Ihnen an der Arbeit besonderen Spaß?

John-Stucke: Gut finde ich, das ich viele eigene Projekte entwickeln und umsetzen kann, dass die Arbeit so vielseitig ist - das macht die Art dieses Kreismuseums mit den zwei Sparten. Es deckt so viele Bereiche vom Kindergeburtstagprogramm bis zum Vortrag über SS-Verbrechen ab. Zudem kann ich richtig viel praktisch gestalten. Die Vermittlung von Geschichte an die Besucher. Ich mache zwar nicht mehr regelmäßig Schülerführungen, doch immer noch hin und wieder. Man muss den Draht zu den Besuchern behalten und darf sich nicht nur um Theorien kümmern - nicht im Elfenbeinturm sitzen.

Nehmen Sie gedanklich davon auch schon mal was mit nach Hause?

John-Stucke: Ich kann noch sehr gut abschalten. Mein Mann ist ein guter Gesprächspartner. Aber Begleitbände oder andere Bücher nehme ich schon mal mit. Da habe ich mehr Ruhe zum Lesen.

Was muss die Leiterin eines solchen Museums, das Regionalgeschichte und eine dunkle Zeit in Deutschland gleichermaßen beleuchtet, mitbringen?

John-Stucke: Flexibilität ist wichtig. Und Offenheit für alle Themen und Belange, um sie an die Besucher zu vermitteln. Und das bitteschön im Team. Darauf setzt dieses Museum. Wir arbeiten alle am gleichen Projekt. Sonst würde es nicht funktionieren.

Wo ist dabei das Historische Museum des Hochstifts im Kreismuseum einzuordnen?

John-Stucke: Früher war die zeitgeschichtliche Dokumentation der Annex an der Regionalgeschichte. Mit der internationalen Bekanntheit von "Ideologie und Terror der SS" ist das aber kein Grund, die Regionalgeschichte nicht so mehr wichtig zu nehmen. Sie ist Identität stiftend, zeigt den Menschen etwas von ihrer Geschichte. Ein gleichberechtigtes Rückgrat, nicht das Stiefkind. Wir wollen das Historische Museum in den nächsten Jahren aufpeppen und mehr den Wahrnehmungsgewohnheiten der Besucher anpassen. Einzelne Themen sollen auch neu präsentiert werden.

Was schätzen Sie an Wewelsburg, der Burg, dem Museum und dem Dorf?

John-Stucke: Dass sich die Menschen im Dorf mit der Geschichte auseinandersetzen. Sie haben sich damit schwer getan, aber sie haben sich der Vergangenheit gestellt und viel aus der Diskussion darum gelernt. Sie gehen dadurch jetzt viel offener damit um. Das hat im vergangenen Jahr auch der Vortrag von Wulff Brebeck zu den Phasen des Gedenkens gezeigt. Der Prozess der Auseinandersetzung ist noch nicht vollendet, Diskussionen gibt es immer noch. Doch wichtig ist, dass sich die Menschen mit der Vergangenheit in Wewelsburg beschäftigen. Die Wewelsburger helfen uns auch bei großen Veranstaltungen, zum Beispiel Museumsfesten im Burggarten. Das ist schon ein gutes Verhältnis.

Welchen Stellenwert hat Wewelsburg für Sie national und international?

John-Stucke: Dass wir durch die Dokumentation international bekannt werden, das war überraschend. Wir wussten ja nicht, wo wir mit dem Thema landen. Dass es so akzeptiert wird, freut uns natürlich. Es ist eine Bestätigung für das, was wir in den vergangenen zehn Jahren getan haben und fördert auch unsere internationalen Kontakte. National hat sich die Wewelsburg in der Gedenkstättenszene gut positioniert. Ihr Alleinstellungsmerkmal: Sie ist einerseits SS-Täterort und zugleich mit dem ehemaligen KZ Niederhagen Gedenkstätte und Opferort.

Und was ist jetzt Ihr nächstes Projekt?

John-Stucke: Wir schreiben am Katalog zur Dauerausstellung, der im Oktober fertig sein wird. Ein umfangreiches Werk von mehr als 400 Seiten. Mein Traum war es, die Ausstellung komplett abzubilden. Aber das lässt sich nicht realisieren. Der Katalog muss für die Besucher bezahlbar bleiben, wird zwischen 20 und 25 Euro kosten. Zudem gibt’s verschiedene wissenschaftliche Projekte wie den Terminkalender Himmlers, den wir herausgeben wollen. Markus Moors und Moritz Pfeiffer werden dafür die Akten mit Himmlers Eintragungen vergleichen und schauen, was der Reichsführer SS an welchen Terminen gemacht hat. Im Gedenkstättenbereich wollen wir eine Datenbank für Häftlingskleidung aufbauen. Und im nächsten Jahr steht das Themenjahr der Museumsinitiative OWL unter der Überschrift Holz - daran beteiligen wir uns im Historischen Museum mit Ausstellung, Workshops und Vorträgen.

Wo sehen Sie die Wewelsburg in 20 Jahren?

John-Stucke: (Lächelt) Dann werden wir den Lückenschluss mit der dritten Abteilung haben: Unser Weit-Ziel im Museums-Entwicklungsplan. Das Hochstift-Museum endet Anfang des 19. Jahrhunderts, die zeitgeschichtliche Ausstellung befasst sich mit der NS-Zeit. Dazwischen liegen das 19. und beginnende 20. Jahrhundert, die spannende Zeit der Industrialisierung. Das abzubilden, das möchten wir in weiterer Zukunft realisieren.

Bildunterschrift: International bekannt: Durch die im April 2010 eröffnete Dokumentation wurde die Wewelsburg auch über die deutschen Grenzen hinaus ein Begriff. Kirsten John-Stucke freut’s.

Fünf Bücher unterm Arm

Der Zufall und der Museumsführer NRW brachten sie auf die Wewelsburg: "Ich kannte sie vorher nicht", gibt Kirsten John-Stucke zu. Sie stammt aus Unna-Massen, machte Abitur am Gymnasium Unna und studierte an der Universität in Münster. Deutsche Philologie, im Nebenfach Geschichte und Publizistik. Geschichte interessierte sie mehr als die Germanistik, also wollte sie in einem Museum ein Praktikum machen, stellte sich in Wewelsburg vor. "Wulff Brebeck hat mich mit offenen Armen empfangen. Wir haben den ganzen Nachmittag gesprochen. Und ich bin mit fünf Büchern unterm Arm wieder nach Hause gefahren." Das sei schon damals ein Hinweis auf die Menge an Arbeit gewesen, die auf sie zukommen sollte, erinnert sie sich mit einem Augenzwinkern. 1990 bis 1993 arbeitete sie als pädagogische Mitarbeiterin für die Vorgänger-Dokumentation "Wewelsburg 1933 bis 1945 - Kult- und Terrorstätte der SS", schloss 1993 ihr Studium ab. In der Magisterarbeit befasste sie sich mit dem Thema Häftlinge im KZ in Wewelsburg. Zwei Jahre war die heute 44-Jährige als wissenschaftliche Volontärin im Morgenstern-Museum in Bremerhaven. Schiffsbau und Schnürböden waren dort neue Themenbereiche für sie. Doch auch dazu führte Kirsten John-Stucke Zeitzeugen-Gespräche mit Werftarbeitern. Schon in Wewelsburg waren für sie die Gespräche mit den KZ-Überlebenden - erstmals gab es 1992 ein Treffen - von besonderer Bedeutung gewesen. 1995 kehrte sie als wissenschaftliche Fachkraft zurück nach Wewelsburg, wurde 1999 stellvertretende Leiterin. 1995 veröffentlichte sie ihre Magisterarbeit mit Biografien der Häftlinge - ein Grundlagenwerk. Kirsten John-Stucke lebt heute mit ihrem Mann und den acht und zehn Jahre alten Söhnen in Wewer.


lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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