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Norddeutscher Rundfunk , 06.08.2011 :

Eine Stadt kämpft gegen Neonazis

06.08.2011 - 13.29 Uhr

In Bad Nenndorf protestieren seit dem Vormittag Hunderte Menschen gegen den Aufmarsch von Rechtsextremisten und Neonazis. Um 10.30 Uhr startete die Gegendemonstration unter dem Motto "Bunt statt Braun", zu der ein Bündnis aus Parteien, Vereinen und Verbänden aufgerufen hatte. "Wir wollen Gesicht zeigen gegen Rechtsextremismus und Geschichtsverdrehung", erklärte Samtgemeindebürgermeister Bernd Reese (SPD).

"Ein gesellschaftliches Leben ist in Bad Nenndorf heute nicht möglich"

Nach Schätzungen der Polizei beteiligen sich knapp 1.000 Menschen an den Protesten. "Der Protest heute ist wesentlich stärker, als er bereits in den vergangenen Jahren war", sagte Steffen Holz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zu Beginn der ersten Kundgebung. Die Bürgermeisterin der Stadt, Gudrun Olk (SPD), hob hervor, dass die Rechtsextremisten in der Stadt nicht willkommen sind: "Ein normales gesellschaftliches Leben ist in dieser Stadt heute nicht möglich", sagte sie auf der zentralen Kundgebung des Bündnisses "Bad Nenndorf ist bunt" und des DGB. Geschäfte hätten geschlossen, Hochzeiten seien verschoben, Familienfeste abgesagt. Sie sei irritiert und verärgert, dass ihr Protestschreiben an den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) unbeantwortet geblieben sei.

Route führt erstmals am jüdischen Gemeindezentrum vorbei

Am Mittag sammelten sich die Neonazis zu ihrem sogenannten "Trauermarsch". Er führt zum Wincklerbad, einem ehemaligen Verhörzentrum der Alliierten. Die Polizei zählte zunächst etwa 500 bis 600 Rechtsextremisten. Mit Privat-Partys entlang der Marschroute demonstrierten die Bürger, dass sie den Neonazis nicht ihre Stadt überlassen. "Das ist unsere Form des Protests", sagte Samtbürgermeister Reese.

Erstmals veranstaltete auch die Jüdische Gemeinde ihre Sabbatfeier in unmittelbarer Nähe zur Neonazi-Demo, weil das Gemeindezentrum dorthin umgezogen ist. Allen Mitgliedern sei es wichtig gewesen, die Feier nicht abzusagen, erklärte die Gemeindevorsitzende Marina Jalowaja. "Die Älteren, die den Holocaust überlebt haben, haben Angst. Trotzdem wollen wir Sabbat feiern." Aus Solidarität besuchten auch zahlreiche Christen die Jüdische Gemeinde.

Bad Nenndorf als "Schlachtfeld im Propagandakrieg"

Seit 2006 kommen die Rechtsextremisten jedes Jahr im August in die Kurstadt am Deister, um angeblicher "Kriegsgräuel an Deutschen Soldaten" im Bad Nenndorfer "Wincklerbad" zu gedenken. Dem DGB zufolge wurden die Misshandlungen damals jedoch umgehend geahndet und von der Öffentlichkeit in Großbritannien verurteilt. Die Neonazis nutzten die "Trauermärsche", um ihre Propaganda zu verbreiten. Von der Geschichte längst widerlegt haben sie mittlerweile im Internet selbst die Maske fallen lassen. Auf einer einschlägigen Seite war nämlich davon die Rede, dass man Bad Nenndorf als "Schlachtfeld im Propagandakrieg" zu nutzen gedenkt. Eine Schlacht, die angesichts der in diesem Jahr besonders breiten Proteste schon jetzt als verloren betrachtet werden kann. Im sechsten Jahr der "Trauermärsche" haben viele Bad Nenndorfer nicht nur einfach die "die Nase voll von diesem Spuk", wie Samtgemeindebürgermeister Reese formuliert, "sie bringen diesen Protest auch offen zum Ausdruck". Bereits am Freitagabend hatten rund 600 Menschen mit einer Menschenkette gegen Rechts auf der Bahnhofstraße demonstriert.

Lautsprecher-Regler der Rechten wurden versiegelt

Die Rechtsextremisten müssen in diesem Jahr bei ihrem Aufmarsch im Wortsinne ein Stück "leiser treten" als zuvor. Die Regler ihrer Lautsprecherwagen werden versiegelt, damit sich die Phonzahl ihrer Parolen in Grenzen hält. Ein Gericht hat das entschieden, was ein Polizeieinsatzleiter so kommentierte: "Da haben die Richter durchaus im Sinn der geplagten Anwohner der Demonstrationsroute entschieden."

"Ordner" mit Strafregister

Wenn alles planmäßig läuft, ist der braune Aufmarsch am Sonnabend um 18 Uhr beendet. Doch mit Verzögerungen muss auch diesmal gerechnet werden. Im vergangenen Jahr waren die braunen Marschierer dafür zum Großteil selbst verantwortlich. Mehr als die Hälfte der von ihnen benannten Demonstrationsordner wurde von der Polizei nicht akzeptiert. Die Beamten verwiesen zur Begründung auch auf die Strafregister der rechtsextremen "Ordner".


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