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Norddeutscher Rundfunk , 06.08.2011 :

Eine Stadt kämpft gegen Neonazis

06.08.2011 - 16.39 Uhr

Von Stefan Schölermann, NDR

Damit hatten die Rechtsextremisten nicht gerechnet: Laute Partymusik auf der Bad Nenndorfer Bahnhofstraße, der Aufmarsch-Route der Trauermarschierer. Ein akustischer Klangteppich zwischen Andrea Berg und Hip Hop - und das in einer Lautstärke, dass der Klang der Trauer-Trommeln kaum wahrnehmbar war. Das war auch Zweck der Übung, sagt der Bad Nenndorfer Apotheker Jürgen Uebel, der seit vielen Jahren die Proteste gegen die sogenannten Trauermärsche organisiert: "Hit them with music - schlagt sie mit Musik! Wir brauchen keine Steine, um den Rechten eine Abfuhr zu erteilen."

Konfetti-Regen und Tanz entlang der Marschroute

Das Konzept ist aufgegangen - als dann noch glitzernder Konfetti-Regen auf die Braunen niederprasselte war deren Stimmung offenbar dahin: sauertöpfische Mienen in den Reihen der Trauermarschierer bestimmten das Bild. Viele hatten offenbar schon im Vorfeld Angst vor den Konfetti-Bomben bekommen, denn statt der erwarteten 1.000 Neonazis waren diesmal nur rund 640 in die Kurstadt gekommen. Am Mittag hatten sie sich zu ihrem so genannten "Trauermarsch" zum Wincklerbad, einem ehemaligen Verhörzentrum der Alliierten, gesammelt.

Route führt erstmals am Jüdischen Gemeindezentrum vorbei

Dennoch gab es auch bedenkliche Situationen: zum Beispiel als die Neonazis am Grundstück der Jüdischen Gemeinde vorbeimarschierten. Zwar setzen sich Gemeinde und Gäste mit jüdische Musik zur Wehr, doch andere bekamen es mit der Angst zu tun: "Mich beschäftigt so etwas sehr", sagt Gemeindemitglied Martin Gerlach, als die Braunen an dem Haus vorbeimarschieren. Die Gemeindevorsitzende Marina Jalowaja erklärte, den Mitgliedern sei es wichtig gewesen, die Feier nicht abzusagen. "Die Älteren, die den Holocaust überlebt haben, haben Angst. Trotzdem wollen wir Sabbat feiern."

Bürger fordern Verbot der Aufmärsche

In Bad Nenndorf wird unterdessen der Ruf nach Verboten lauter: Viele, wie die Bürgermeisterin Gudrun Olk (SPD) verlangen ein Verbot der Aufmarsch-Serie. Denn die Neonazis haben ihre Trauermärsche bis 2030 angemeldet. Unterstützung erwartet sie sich dabei auch von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). "Ich bin enttäuscht, dass sich Schünemann diese Märsche noch nicht mit eigenen Augen angesehen hat", sagt Olk.

Keine Gewalt, Zusammenstöße oder Festnahmen

Für die Polizei, die mit rund 2.000 Einsatzkräften vor Ort war, ist an diesem Wochenende ein Konzept aufgegangen, das deutlich liberaler war als das vom Vorjahr. Es gab keine Gewalt, Zusammenstöße oder Festnahmen. "Es hat keinerlei Störungen gegeben, nicht einmal Versuche", sagte Polizeisprecher Axel Bergmann.

Zugleich war die Bewegungsfreiheit der Bad Nenndorfer an diesem Tag weit größer als im Vorjahr. "2010 haben wir uns fast wie Verbrecher gefühlt", sagt die Bad Nenndorferin Silke Engelking, "diesmal war alles viel entspannter".

Bildunterschrift: Knapp 1.000 Menschen haben sich laut Polizei am Sonnabend in Bad Nenndorf versammelt, um gegen Rechts zu demonstrieren.

Bildunterschrift: Polizisten stehen am Bahnhof Bad Nenndorf.


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