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Bielefelder Zeitung / Westfalen-Blatt , 30.11.2010 :

In den Tod getrieben / Stolpersteine erinnern auf der Viktoriastraße an jüdische Unternehmerfamilie Juhl

Von Jens Heinze und Hans-Werner Büscher (Foto)

Bielefeld (WB). Drei kleine Messingplatten mit eingravierten Namen im Gehweg vor dem Haus Viktoriastraße 48a erinnern jetzt an großes menschliches Leid, versacht durch die Unmenschlichkeit der NS-Diktatur.

Vor dem ehemaligen Wohnhaus und der alten Wäschefabrik der jüdischen Bielefelder Unternehmerfamilie Juhl ließ der Kölner Künstler Gunter Demnig, Initiator des so genannten Stolpersteine-Projektes, drei weitere Steine ein. Sie dienen dem Gedenken an Clara Juhl (53) und ihre Töchter Mathilde (29) sowie Hanna (26), die im Sommer vor 70 Jahren auf der Flucht vor den Nazis in Amsterdam den Tod fanden.

Im Beisein von Christine Biermann und Eva Hartog, die das Stolpersteine-Projekt seit fünf Jahren in Bielefeld vorantreiben, Oberbürgermeister Pit Clausen sowie Mitgliedern, Freunden und Förderern des Vereins Projekt Wäschefabrik erinnerte Rüdiger Uffmann vom Vereinsvorstand an die leidvolle Geschichte der Familie Juhl. "Ein typisches Schicksal" für diese Zeit, wie Uffmann sagte.

Der Unternehmer Hugo Juhl errichtete 1913 an der Viktoriastraße die Wäschefabrik Juhl & Helmke mit integriertem Wohnhaus, heute das Museum Wäschefabrik. Maßgeblich zur Firmengründung bei trug mit ihrem Erbe seine Frau Clara, die aus wohlhabendem jüdischen Haus stammte.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis war die Firma Juhl & Helmke noch nicht direkt vom Boykott gegen jüdische Geschäfte betroffen. Die jüngste Tochter der Familie, Hanna Juhl, und ihr Mann Dr. Fritz Bender, erkannten aber bereits Anfang der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, wie die Zeichen in Deutschland standen. Das Ehepaar wanderte 1933 nach Amsterdam / Niederlande aus. Fritz Bender, seinerzeit einer der weltbesten Chemiker, gründete eine pharmazeutische Fabrik. Im Jahr 1934 wurde Tochter Marianne geboren.

Hugo Juhl, der mit Ehefrau Clara und der ältesten Tochter in Bielefeld geblieben war, musste sich Ende der 30er Jahre endgültig dem Druck der NS-Diktatur beugen. Von 1938 an wurden die Wäschefabrik und weitere Immobilien verkauft. Der Gesundheitszustand des jüdischen Unternehmers verschlechterte sich danach zusehends. Er starb im Juni 1939.

Nach dem Tod des Ehemannes flüchteten im selben Jahr Clara Juhl und ihre Tochter Mathilde nach Amsterdam. Sie fanden bei der jüngsten Tochter Hanna und Schwiegersohn Fritz Bender eine neue Heimat. Doch der Familie, die in den Niederlanden als Zufluchtsstätte für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland galt, waren nur noch wenige gemeinsame Monate beschert.

Am 10. Mai 1940 marschierte die deutsche Wehrmacht in die Niederlande ein. Nur Fritz Bender gelang die Flucht in einem Ruderboot auf die Nordsee. Sein weiterer Weg führte über Großbritannien nach Kanada, wo er vor fünf Jahren im Alter von 99 Jahren starb. Clara Juhl, ihre Töchter Mathilde und Hanna sowie Enkelin Marianne suchten in Holland den Freitod und entgingen damit der sicheren Deportation durch die Nazis in ein Vernichtungslager.

Weitere Informationen zur Aktion Stolpersteine im Internet unter: www.stolpersteine-bielefeld.de

An die Opfer erinnern

Das Projekt Stolpersteine verfolgt der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 15 Jahren. In dieser Zeit sind in mehr als 300 Orten Deutschlands - ebenso in Österreich, Ungarn und in den Niederlanden - mehr als 16.000 Steine verlegt worden. Mit diesem Vorhaben soll an die Menschen erinnert werden, die während der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland verfolgt und ermordet wurden.

Bei den zehn mal zehn Zentimeter großen Stücken handelt es sich um mit Messingplatten verkleidete Pflastersteine, die vor dem letzten Wohnsitz des verfolgten, vertriebenen oder ermordeten Opfers in den Boden eingelassen sind. Für sein Projekt ist Gunter Demnig vor zwei Jahren in Berlin der Preis "Botschafter für Demokratie und Toleranz" verliehen worden.

Finanziert werden die Stolpersteine zum Preis von je 95 Euro über Paten. "Man ist bewegt über die Schicksale, die in der Nazi-Zeit passiert sind", erklärte Regina Pankratz-Leymann, warum sie jetzt für die Stolpersteine vor dem Museum Wäschefabrik an der Viktoriastraße spendete.

Bildunterschrift: Ein Mann setzt sich dafür ein, dass die Opfer der NS-Diktatur nicht vergessen werden: Der Kölner Künstler Gunter Demnig ist zum wiederholten Mal in Bielefeld aktiv. Dieses Mal verlegt er Stolpersteine auf der Viktoriastraße zum Gedenken an die jüdische Familie Juhl.


bielefeld@westfalen-blatt.de

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