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Warburger Kreisblatt / Westfalen-Blatt , 30.04.2010 :

Bitterer Gang über den Friedhof / Vorbei an Gräbern: Christian Holtgreve erzählt vom Schicksal jüdischer Mitbürger

Warburg (WB). Mehr als 100 Teilnehmer haben sich von Christian Holtgreve über den jüdischen Friedhof in Warburg führen lassen. Bei strahlendem Sonnenschein hörten sie sich seine Ausführungen zur Geschichte der Grabstätte an.

Christian Holtgreve zitierte zu Beginn Michael Winkelmanns Rede zur Einweihung des Shoa-Denkmals an der Mauer zum jüdischen Friedhof im Jahr 1995: "Ihr Leid begann in unserer Mitte. Zu wenige schrieen auf, damals, als alles begann, die meisten schauten weg. Es gab aber auch durchaus großartige Hilfen für die Juden: da wurden Lebensmittel getrennt verteilt, Kranke heimlich von Ärzten gepflegt, da gab es viele Gesten von Solidarität. Aber es bleibt die Tatsache, dass 151 Warburger Bürger deportiert wurden, und die allermeisten wurden ermordet, in Auschwitz und anderswo. Sie liegen nicht auf diesem Friedhof."

Der Rundgang über den Friedhof begann gleich am ersten Grabstein, wo Jakob Flechtheim liegt, der 1853 starb und bedeutende Söhne hatte: Sally und Alex gründeten um 1900 die erste Privatbank in Warburg. Holtgreve machte auf einzelne Grabsteine mit Schmuckelementen aufmerksam: Mohnkapseln als Symbol des ewigen Schlafes, das Schofarhorn, die segnenden Hände. Viele alte Grabsteine sind mit hebräischen Inschriften versehen, die nach Süd/Südosten weisen, gen Jerusalem, immer mit zwei Buchstaben versehen, die bedeuten: "Hier ruht". Und dann folgen zumeist Sprüche aus dem Alten Testament und die Jahreszahlen von Geburt und Tod.

Holtgreve wies seine Zuhörer auf das Ehrenmal für die gefallenen jüdischen Mitbürger im Ersten Weltkrieg hin und auf das Mahnmal, das nach 1945 errichtet wurde, zusammengefügt aus Bruchstücken von im Jahr 1938 geschändeten Grabsteinen.

Der Rundgang ging weiter zu einzelnen Gräbern, wie dem von Otto Baruch und Max Rosenstein, an deren Schicksale August Heuel erinnerte. Sowohl Otto Baruch als auch Max Rosenstein überlebten den Holocaust und kehrten unter schwierigsten Umständen von Theresienstadt und Auschwitz nach Warburg zurück. Weitere Gräber wurden besucht, so die von Amalie Herz, der Mutter von Emil Herz, von Juda und Cecilie Oppenheim. Die Gruft der bedeutenden Kaufmannsfamilie Berg wurde aufgesucht, auf der eine Inschrift an Sally Berg erinnert, der die Stadt Warburg testamentarisch mit 30 000 Gulden bedachte: Aus den Zinsen sollte Geld aufgeteilt werden für die jüdischen, katholischen und protestantischen Armen in der alten Hansestadt. Weiterhin wurde auf das Grab von Dr. Arnold Levy hingewiesen, der eine Arztpraxis unterhielt und 1934 (!) unter großer Anteilnahme der Warburger Bevölkerung auf dem jüdischen Friedhof begraben wurde. Seinen Verwandten gelang die Flucht nach London. Sein Sohn Paul kam nach 1945 mit Otto Wirmer, dem Bruder des Widerstandskämpfers Josef Wirmer, zu Abituriententreffen nach Warburg.

Ein weiterer besonderer Grabstein ist der von Jakob Kohn. Dessen Grabstein wurde 1938 zerstört. Sein Enkel errichtete ihm 1955 den heutigen Ersatzstein.

Holtgreve kam dann auch auf Julius Cohn zu sprechen. Dieser kam 1912 nach Warburg, wurde Lehrer an der jüdischen Schule an der Menner Straße und gehörte zu den führenden Mitgliedern der jüdischen Kultusgemeinde. Er war Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und legte sich aktiv mit den Nationalsozialisten an. 1934 wurde er verhaftet und später nach Lodz deportiert. Sein Sohn Heinz wanderte im Jahr 1935 nach Palästina aus.

Und noch ein Grabstein wurde betrachtet, der der Familie Meinhard Berg. Meinhard Berg betrieb ein Geschäft für Strick- und Wollwaren und starb 1931. Seine Frau Selma wurde 1942 mit ihren Kindern Josef und Martha deportiert, 1943 wurde Selma in Theresienstadt ermordet, Josef und Martha in Auschwitz.

Auf Grund der großen Resonanz findet an diesem Sonntag um 16 Uhr eine weitere Führung über den jüdischen Friedhof statt. Treffpunkt ist am Emil-Herz-Platz. Die Veranstaltung ist kostenfrei.


warburg@westfalen-blatt.de

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