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Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische , 27.04.2005 :

Gebürtige Lübbeckerin starb 1944 unter dem Fallbeil / Stadt Lübbecke will Straße nach Emmy Zehden benennen: Die Geschichte hinter dem Namen

Lübbecke (tir/NW) . Die Gräueltaten unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben unzählige Opfer gefordert - hinter jedem verbirgt sich ein ganz persönliches Lebensschicksal wie das von Emmy Zehden. Bereits 1992 wurde in Berlin eine Straße nach der gebürtigen Lübbeckerin benannt, die 1944 im Alter von 44 Jahren in Berlin-Plötzensee unter dem Fallbeil starb. Nunmehr gedenkt auch die Stadt Lübbecke der couragierten Frau und benennt einen Weg nach ihr.

Über das Leben und den Leidensweg Emmy Zehdens ist nur wenig bekannt, einige Zeitungsausschnitte gibt es im Stadtarchiv, und Emmys Pflegesohn Horst Schmidt hat die Geschichte der Mutter in seinem Buch "Der Tod kam immer montags" dokumentiert.

Geboren wurde Emmy Zehden als Emmy Windhorst am 28. März 1900 in Lübbecke im damaligen Haus Nummer 130. Sie kam aus einfachen Verhältnissen und heiratete den jüdischen Kaufmann Richard Zehden aus Spandau, dem sie in die Großstadt folgte. Mit der Eheschließung trat Emmy Zehden der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas bei, der auch ihr Mann angehörte. Für die Nazis waren die Zeugen Jehovas eine "die Volksgemeinschaft zersetzende Sekte", ihr Verkündigungsdienst wurde mit der Machtübernahme der "Braunen" 1933 verboten. Emmy Zehdens Ehemann Richard wurde 1938 wegen seines Glaubens ins Gefängnis gesperrt und musste Zwangsarbeit leisten, Emmy verdiente den Lebensunterhalt mit Zeitungen austragen.

Unvereinbar mit ihren Glaubensgrundsätzen war für die Zeugen Jehovas die Teilnahme am Kriegsdienst. Wer nicht in Konzentrationslagern inhaftiert war, tauchte unter, um dem Dienst an der Waffe zu entgehen - ein Vergehen, auf das die Todesstrafe stand. Auch Emmy Zehdens Pflegesohn Horst Schmidt (genannt Bubi Zehden) - ebenfalls ein Zeuge Jehovas - sowie zwei seiner Freunde wollten nicht in den Krieg ziehen. Emmy Zehden gewährte den drei jungen Männern Unterschlupf in ihrer Gartenlaube. Eine größere Verfolgungsaktion der Gestapo 1942 wurde ihnen zum Verhängnis. Alle gerieten in Haft.

Am 19. November 1943 wurde Emmy Zehden vor dem 6. Senat des Volksgerichtshofes wegen "Wehrkraftzersetzung in Verbindung mit landesverräterischer Feindbegünstigung" zum Tode und zu lebenslangem Ehrverlust verurteilt.

Wie der ebenfalls aus Lübbecke stammende Pflegesohn Emmy Zehdens in seinem Buch bewegend schildert, reichte ein Rechtsanwalt noch am gleichen Tag ein Gnadengesuch ein. Schmidt: "In diesem brachte meine Mutter zum Ausdruck, dass das Grundmotiv ihrer Handlung Liebe gewesen ist, insbesondere mir gegenüber, und dass sie bittet, das Urteil in eine Zuchthausstrafe umzuwandeln." Auch das Frauengefängnis Barminstraße reichte ein Gnadengesuch ein. Darin hieß es: "Die zum Tode verurteilte Emmy Zehden führt sich gut. Sie arbeitet trotz ihrer Fesselung als Strumpfstopferin. Sie beweist in ihrer Haltung große Selbstdisziplin".

Doch die Fürbitten stießen auf taube Ohren. Am 31. Mai 1944 ordnet der Reichsminister der Justiz die Vollstreckung des Urteils an. Die Hinrichtung wurde auf den 9. Juni 1944, 13 Uhr, angesetzt. Emmy Zehden wurde diese Tatsache eineinhalb Stunden vorher eröffnet. Das Protokoll vermerkte später knapp: "Die Verurteilte, die ruhig und gefasst war, ließ sich ohne Widerstreben auf das Fallbeilgerät legen, worauf der Scharfrichter die Enthauptung ausführte. Die Vollstreckung dauerte von der Vorführung bis zur Vollzugsmeldung sieben Sekunden."

Emmys Ehemann Richard kam im Konzentrationslager Auschwitz um. Auch Emmy Zehdens Adoptivsohn und Neffe Horst Schmidt drohte die Todesstrafe. Doch bevor es zur Hinrichtung kam, wurden die Inhaftierten des Zuchthauses Brandenburg-Görden befreit. Als Erinnerung an seine Mutter Emmy ist Horst Schmidt ein kurzer Abschiedsbrief geblieben, den sie am Tage ihrer Hinrichtung verfasste: Darin steht:

"Mein lieber Bub. Leider habe ich von Dir so lange nichts gehört. Ich hoffe, dass Gretchen Deine Adresse ausfindig macht, um Dir meine letzten Grüße zu schicken. Sieben Monate habe ich auf mein Gnadengesuch gewartet. Da es nun Gottes Wunsch ist, will ich den Weg gehen, so wie ihn Jesus Christus ging. Sei nicht traurig mein Jungchen. Wir werden uns bald wiedersehen. Vor allen Dingen bleibe auch Du tapfer, denn Gottes Gericht ist gerecht. Nur durch viel Trübsal kann man ins Himmelreich eingehen. An Pappi konnte ich nun nicht schreiben. Noch so viel Liebes möchte ich Dir schreiben; aber keine Zeit mehr. Also auf Wiedersehen mein Jungchen. Was Gott tut, das ist wohl getan. Tausend Grüße und Küsse von dieser Erde. Deine Mutti."

Der heute 85-jährige Horst Schmidt erhielt den Abschiedsbrief seiner Mutter erst nach über fünf Jahrzehnten. In seiner Autobiografie schreibt er: "Man hat es wohl nicht mehr für nötig gehalten, mir diesen Brief auszuhändigen."


lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

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