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Schaumburger Zeitung , 23.07.2004 :

Wie Bad Eilsen 1954 seine Stunde Null erlebt / Vor 50 Jahren wird das Hauptquartier der Royal Air Force von Eilsen nach Mönchengladbach verlegt

Von Friedrich Winkelhake

Bad Eilsen. Der sehr um ein Erwachen des alten, kleinen ehemals fürstlichen Weltbades bemühte Bad Eilser Bürgermeister, Heinrich Hofmeister, atmete 1954 auf: Seine Bemühungen um eine Freigabe des Bades hatten erste Erfolge. Die britischen Stabsoffiziere samt Familien, für die fast alle Villen des Ortes beschlagnahmt gewesen waren, zogen ab. Ihr neuer Standort wurde Mönchengladbach. Auch die vielen Unteroffiziere und Soldaten verließen nun Bad Eilsen. Was sollte und konnte nun werden?

Nach 15 Jahren unverantwortlichen Raubbaus an den einstmals herrschaftlichen Hotels, an den vorbildlichen Einrichtungen des Kur-Bäderwesens und der Technischen Abteilung, waren viele Millionen Mark nötig, um an die großen Zeiten des Bades in den 20er und 30er Jahren anknüpfen zu können. Aber auch die alten Gäste aus aller Welt hatten sich natürlich inzwischen an neue Erholungsorte gewöhnt. Bad Eilsen – das Bad, in dem die Blinden sehend werden – war vergessen. Ganz von vorn musste man beginnen.

Als im Jahre 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, mussten die Gäste überhastet abreisen. Lazaretteinheiten belegten zunächst die großen Kurhäuser. Im Herbst 1939 evakuierte das Reich die Alten, Kranken und auch Schwangere aus den Gefahrenzonen nahe der belgischen Grenze nach Bad Eilsen. Hunderte von Patienten wurden in den Kurheimen, Hotels und Pensionen betreut.

Am l. August 1941 beschlagnahmte die Regierung dann das gesamte Kurzentrum mit allen Gebäuden für die Flugzeugwerke Focke-Wulf aus Bremen. Wegen der alliierten Bombenangriffe musste das kriegswichtige Unternehmen in sichere Gegenden verlagert werden. Nun begannen rücksichtslose Veränderungen in den Badeeinrichtungen. Es musste Raum für etwa 2000 Ingenieure, Techniker, Konstrukteure, Zeichner, Rechner und Sekretärinnen geschaffen werden. So manche Wand wurde abgerissen oder versetzt. Zeichensäle und Büros entstanden in den feinen Hotels und im Kurmittelhaus. Bäder wurden zweckentfremdet. Nun überflüssige und störende Technik wurde entfernt. Etwa 20 große Baracken wurden zusätzlich im Kurpark aufgestellt. Im Ahnser Steinkohlen-Bergwerk baute man Säle aus. Feuerlöschteiche und Splittergräben wurden gegraben. Die Gaststätten, Pensionen und Kurheime wurden mit Bremern belegt.

Nach dem Zusammenbruch des NS-Staates kam es noch schlimmer. Die britische Luftwaffe verlegte ihr Hauptquartier nach Bad Eilsen. Nun wurde der Ort beinahe völlig beschlagnahmt. Nicht nur die herrschaftlichen Gebäude des fürstlichen Bad Eilsens, auch fast alle Gaststätten, Pensionen, die Schule, die Villen und nutzbaren Wohnhäuser wurden mit Offizieren und Soldaten belegt. Manch einer erinnert sich noch an die vielen Lkw-Ladungen von wertvollen Akten, Büchern und sonstigem Inventar aus Fürstenhof, Badehotel und Georg-Wilhelm-Haus, die in der Schuttgrube im Ahnser Steinbruch (heute Glück-Auf-Weg) abgekippt und verbrannt wurden.

Die Umbauten in den Hotels und Kureinrichtungen gingen nun weiter. Büros, Telefonzentralen, Fotolabore, Flugüberwachungsstellen, Magazine, Werkstätten, Abstellplätze für Lkw, Pkw und Jeeps entstanden ohne Rücksicht auf die alte Bausubstanz. Auch Schwefel- und Schlammzuleitungen wurden beseitigt, wenn es nötig erschien. Vor allem der Verlust aller wertvoller Akten und Unterlagen über den Badebetrieb ist heute zu beklagen. Historiker suchen vergeblich nach Archivmaterial über die große Zeit Bad Eilsens.

So wie dem Archiv und der großartigen Bücherei des Bades erging es auch schließlich den einmaligen Dokumenten der Focke-Wulf-Werke in Bad Eilsen. Prof. Tank – einer der bedeutendsten Flugzeugkonstrukteure Deutschlands – hatte mit seinen Experten in Bad Eilsen vor allem an der Weiterentwicklung des Jägers FW 190 gearbeitet. Seine Entwicklungen schneller Baumuster kamen im Bürokratismus des Dritten Reiches unter die Räder. Seine „Düsenjäger“ waren schon über die Phase der Entwicklung hinaus, die serienmäßige Herstellung von monatlich 250 Stück ausgearbeitet.

Alle Akten, Zeichnungen, Unterlagen, Tabellen, Berechnungen und die wissenschaftliche Bibliothek verschwanden auf Nimmer-Wiedersehen. Alles wurde von den britischen Soldaten durchwühlt und mitgenommen – auch die Aktenschränke, Zeichenbretter, Lineale, Dreiecke, Zeichenstifte. Sogar vor den Privatsachen der Konstrukteure und des Herrn Prof. Tanks machte man nicht Halt.

Die Nachkriegszeit brachte noch einmal einen bedeutenden Mann nach Bad Eilsen. Sir Sholto Douglas ist den Menschen heute wahrscheinlich überhaupt nicht bekannt. Er war jedoch einer der wichtigsten Engländer während der Besatzungszeit in Deutschland. Ab Juni 1945 war er der Oberkommandierende der Britischen Luftwaffe in Deutschland und residierte mit seinem Stab im Fürstenhof und Badehotel. Im Januar 1946 ernannte man ihn zum Nachfolger General Montgomerys als Militärgouverneur und zum britischen Vertreter im Alliierten Kontrollrat. Der Britische Hohe Kommissar in der Militärregierung nahm seinen Wohnsitz auf Gut Rickbruch im Extertal bei Bremke. Vielleicht erinnern sich ganz alte Eilser noch an ihn, wenn er mit großer Militär-Eskorte zwischen Bad Eilsen und dem Extertal pendelte. Hier gehörte auch die Verfolgung von NS-Taten zu seinem Aufgabengebiet.

Vor allem aber war er maßgeblich beteiligt am Aufbau des politischen und wirtschaftlichen Lebens in seiner Besatzungszone. Er unterschrieb auch das Todesurteil für Hermann Göring, gegen den er im Ersten Weltkrieg als Jagdflieger gekämpft hatte. Die Bildung des Landes Niedersachsen nach Wünschen und Vorstellungen deutscher Nachkriegspolitiker bestätigte er mit Verordnung Nr. 55 der Militärregierung am 23. November 1946.

Große Leute wie Prof. Tank und Sir Sholto Douglas ehren Bad Eilsen zwar sehr, sie tragen aber auch Verantwortung für den Niedergang des 200 Jahre alten Bades.


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