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Mindener Tageblatt , 22.07.2004 :

Gegen das Vergessen: Fragen nach dem 20. Juli / Schüler aus vier Schulen erforschen die Nazizeit und die Hintergründe des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler

Von Robert Kauffeld

Minden (rkm). Der 20. Juli 1944 ist wohl das sichtbarste Zeichen für den Widerstand, den es in Deutschland gegen eine Diktatur gegeben hat. Junge Schüler haben sich intensiv mit den geschichtlichen Ereignissen dieser Zeit befasst, um selbst etwas zu erarbeiten, was eine Richtschnur für ihre eigene Zukunft sein kann.

Seit Monaten schon beschäftigen sich Schüler des Besselgymnasiums, des Herdergymnasiums, der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule (KTG) und des Gymnasiums Adolfinum Bükkeburg in sehr unterschiedlicher Weise mit diesem Thema. Dabei beschränken sie sich nicht darauf, im Geschichtsunterricht von den Grausamkeiten des Regimes und den fehlgeschlagenen Umsturzversuchen zu hören.

In Zusammenarbeit mit dem Preußenmuseum und der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik entstanden Projekte, deren Ergebnisse jetzt vor vielen Besuchern im Preußenmuseum vorgestellt werden konnten und - verdient - viel Beifall fanden. Die Besselschüler beschäftigten sich mit der Frage und den eigenen Zweifeln, warum man damals Massen begeistern konnte und es nicht möglich war, einen Machtwechsel herbeizuführen. Und sie fanden heraus, wie die Medien manipuliert und gleichgeschaltet waren. Sie verglichen Zeitungsberichte über die Ereignisse des 20. Juli mit Aussagen wie: "Es lebe der Führer! Feindlicher Mordanschlag missglückt " im Völkischen Beobachter oder ganz sachlich: "Mordanschlag gegen den Führer" im Solzenauer Wochenblatt. Sie fragten sich auch, warum wohl das Mindener Tageblatt eingestellt wurde - tatsächlich wegen "Papiermangels"?

Immer mehr offenbarte sich den jungen Leuten die Vergangenheit. Bald hatten sie erkannt, dass der Widerstand vielfältig und weiter verbreitet war, als lange Zeit angenommen wurde. Er hatte viele Formen und viele Gesichter. So wurde als Beispiel das Schicksal des U-Boot-Kommandanten Oskar Heinz Kusch betrachtet, der auf seiner zweiten Feindfahrt den Krieg als verloren erkannte und daraus gegenüber seinen Kameraden keinen Hehl machte. Er wurde zum Tode verurteilt und im Februar 1944 hingerichtet. Gab es Widerstand in der hiesigen Region? An zahlreichen Beispielen aus der Tätigkeit der Evangelischen Kirche wurde deutlich, dass es überall kleine, aber oft wirkungsvolle Möglichkeiten gab, den Gläubigen der bekennenden Kirche zu helfen und dem Totalitätsanspruch der Machthaber entgegenzutreten. Über die möglichen Folgen unangepassten Verhaltens berichteten die Schüler des Herdergymnasiums. Sie hatten Polizeiakten in Münster studiert und erfahren, welche Folgen Denunziation haben kann und wie Fahnenflucht geahndet wird. In einem Interview erfuhren sie viel über das Leiden der damals verfolgten Zeugen Jehovas. Interessante Erkenntnisse brachte auch der Besuch der Wewelsburg, deren Nordturm nach Himmlers Vorstellungen den Mittelpunkt der Erde darstellen sollte.

KTG-Schüler drehten Film über Tage in Polen

Menschen begegnen und kennen lernen ist oft ein Grundstein für ein friedliches Miteinander. Zwölf Schülerinnen und Schüler der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule fuhren mit dem Bus nach Polen zum Besuch eines Ortes, der einmal als Zentrum des bürgerlich zivilen Widerstandes anzusehen war. Pfarrer Dr. Winter, der Initiator dieser Reise, erinnerte daran, dass die vor zehn Jahren von Mindener Bürgern gespendete Kirchenglocke eine zentrale Rolle bei diesem Besuch spielte. Im früheren niederschlesischen Gut Kreisau entwickelte der so genannte "Kreisauer Kreis" Konzepte für eine grundlegende staatliche, wirtschaftliche und soziale Neugestaltung Deutschlands nach dem Sturz der NS-Diktatur. Ein eindrucksvoller von den Schülern selbst gedrehter Film zeigte das Treffen und die gemeinsame Arbeit mit polnischen Jugendlichen. Um zu verstehen, was damals geschah, spielten sie Szenen nach, wie eine Nachrichtensendung von 1944, das Gespräch einer polnischen Familie zu den Ereignissen oder eine Stammtischrunde.

Am eindrucksvollsten war wohl für alle Schüler der Besuch eines früheren KZ-Lagers. "Auf dem Boden zu stehen, wo 40 000 Menschen starben - mir war schlecht", so eine Schülerin. Und wie sie werden wohl auch die anderen empfunden haben: "Ich war froh, es hinter mir zu haben. Aber ich bin froh, es erlebt zu haben."


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