www.hiergeblieben.de

WebWecker Bielefeld , 21.07.2004 :

Tag des Hartzes

Am vergangenen Donnerstag waren die Hartz IV genannten Änderungen im Sozialgesetzbuch Thema bei verschiedenen Veranstaltungen. Mittags erklärte die SPD der Presse, dass die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe für mehr Arbeitsplätze sorgen soll. Am Nachmittag demonstrierten knapp 100 Menschen vor dem Rathaus gegen die Lösung. Am Abend war Hartz IV Thema im Rat.

Von Mario A. Sarcletti

"Wie das in Bielefeld umgesetzt werden soll, wenn Herr Clausen als Oberbürgermeister gewählt worden ist, erklärt er Ihnen jetzt selbst", kündigte der Bundestagsabgeordnete Rainer Wend betont optimistisch das Referat des SPD- Spitzenkandidaten für die Kommunalwahl zum Thema Hartz IV an. Gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten Günther Garbrecht stellten die beiden die Folgen der Neuerungen für Bezieher von Sozial- und Arbeitslosenhilfe in Bielefeld vor. Was Betroffene als Einschnitt ins soziale Netz sehen, ist für Wend eine Methode mehr Menschen in Arbeit zu bringen. "Was uns das Wichtigste ist, ist die Vermittlung von Arbeitslosen", erklärt der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, was er sich von Hartz IV erhofft und zitiert eine Bertelsmann-Studie, nach der Deutschland das europäische Schlusslicht in diesem Bereich ist.

Gelingen soll die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen durch eine bessere Quote von Arbeitslosen und Vermittlern, die in Zukunft "Fallmanager" heißen werden. Während bei der Bundesagentur für Arbeit 700 Arbeitslosen auf einen Vermittler kommen, sollen die Fallmanager nur jeweils 150 Arbeitssuchende betreuen. "Passgenaue Hilfe durch individuelle Betreuung", nennt Clausen das. Bei den unter 25-Jährigen soll das Verhältnis gar 75 : 1 betragen. "Es wird keinen Jugendlichen geben, der kein Angebot kriegt", verspricht Wend. Ein Angebot, das die Jugendlichen nicht ablehnen können. Nehmen sie eine Stelle, eine Ausbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahme nicht an, wird ihnen die Unterstützung gestrichen, Lebensmittelgutscheine sollen dann ihr Überleben sichern.

Annehmen müssen die Erwerbsfähigen laut Gesetz jede zumutbare Arbeit, egal ob sie nach Tarifvertrag oder auch ortsüblich bezahlt werden. "Die CDU/CSU hat das so gewollt", weist Pit Clausen jede Schuld der SPD an der Regelung von sich. Die etwa 18.000 Betroffenen in Bielefeld müssen aber nicht nur Niedriglohnjobs sondern auch so genannte Arbeitsgelegenheiten annehmen. "Wir nennen sie Zuverdienstmöglichkeiten", erklärt Clausen. Allerdings ein geringer Zuverdienst, 1 Euro pro Stunde wird von der Bundesagentur für Arbeit dafür bezahlt. Aber nicht nur wegen des Geldes sollen nach Pit Clausen die Arbeitssuchenden die Arbeitsgelegenheiten wahrnehmen. "Sie sind auch eine Brücke in Arbeit, die Arbeitssuchenden sollen die Grundtugenden nicht verlernen", lobt Clausen das Konzept. Die Arbeitsgelegenheiten sollen nach den Vorstellungen der Bielefelder SPD in Kindertagesstätten, Freibädern oder auch im Umweltbetrieb entstehen. Kritiker befürchten, dass sie auch in ganz normalen Unternehmen eingerichtet werden.

Clausen sieht mit den Arbeitsgelegenheiten schon einen zweiten Arbeitsmarkt am Horizont. "Assistenten" der normalen Arbeitskräfte sollen Langzeitarbeitslose laut Clausen sein und damit eine Versorgungslücke bei der Kinderbetreuung schließen helfen. Zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen aus dem ersten in diesen zweiten Arbeitsmarkt wird es seiner Meinung nach nicht kommen.

Dass auch für ihn die Vermittlung in Arbeit das Wichtigste ist, dafür nennt Clausen auch finanzielle Gründe. Die Kommune muss für den Großteil der Unterbringungskosten der Betroffenen und ihrer Familien aufkommen, der Bund übernimmt 29,1 Prozent. 4,17 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter werden bezahlt, die Sozialberatung Widerspruch e.V. befürchtet, dass wegen der durchschnittlichen Miete von 5,07 Euro in Bielefelds normalen Wohnlagen viele Empfänger von ALG II umziehen müssen. Günther Garbrecht hält das für Quatsch: "Wir wollen die Leute in Arbeit vermitteln und nicht in neue Wohnungen", poltert er auf Nachfrage des Webweckers. Aber selbst Pit Clausen gesteht ein, dass durch Hartz IV keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. Er hofft aber auf "neue Nischen, neue Branchen" und fordert Investitionen in Bildung und Forschung.

Akademiker als Hundekotentferner?

Neue Branchen sieht kurze Zeit nach den SPD-Ausführungen auch Arno Klönne. "Was hilft es der Arbeitsmarktpolitik, wenn Arbeitlose eine Laufbahn als Hundekotentferner machen", fragt der Paderborner Soziologe vor knapp einhundert Demonstranten vor dem Rathaus. Angesichts der am Abend von Sozialdezernent Thomas Kähler dem Rat genannten Zahl von 38.000 Betroffenen ist die geringe Teilnehmerzahl bei der Protestveranstaltung schon erstaunlich. Noch erstaunlicher ist der wenige Protest, wenn man Klönnes These glaubt, dass es bei Hartz IV nicht nur um Leistungskürzungen für Arbeitslose geht. "Es geht um Lohndumping, die Bevölkerung soll an Armut gewöhnt werden", glaubt Klönne. Es sei schon richtig, dass es um Wettbewerb gehe: "Es geht um den Wettbewerb, wie man den Leuten das Fell über die Ohren zieht", beschreibt der Soziologe seinen Eindruck von der Reform des Sozialstaats.

Hartz IV sieht er nur als einen Baustein zum Sozialabbau der rot-grünen Bundesregierung, die sich damit aber ihr eigenes Grab schaufle. "Erst wurden wir verrürupt, jetzt werden wir verhartzt, damit wir anschließend vermerkelt werden", sagt Klönne unter dem Jubel der Demonstranten. Nicht der Standort Deutschland sei gefährdet, sondern der Sozialstandort. Verantwortlich für die Haushaltslöcher seien die Steuergeschenke an Großunternehmen. "Es heißt ja immer die Zeiten des Klassenkampfes seien vorbei. Das stimmt aber nicht: Es gibt einen Klassenkampf von oben", stellt Klönne fest und hofft auf eine neue außerparlamentarische Opposition. In Berlin setze man darauf, dass sich die Menschen schon fügen würden. "Deshalb ist jetzt Druck auf die Kommunalpolitik nötig", gibt er die Richtung vor. Die wollen die Demonstranten auch ausüben und nach der Kundgebung die Ratssitzung besuchen.

Vorher beschreibt aber noch Veronika Bennholdt-Thomsen die Auswirkungen von Hartz IV speziell auf Frauen, die besonders betroffen seien. "Ein Drittel der Sozialhilfebezieher sind Frauen", sagt sie. Da Frauen die Familienplanung oft über eine Ausbildung stellten, seien sie besonders oft in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig. Zu den gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten fragt sie, ob Kinderbetreuung nicht gemeinnützig sei. Zudem würden viele Frauen wegen der Hartz IV Regelungen wieder zum "Anhängsel der Partner", da deren Einkommen stärker auf das ALG II angerechnet werde. Das führe zurück zu den drei Ks, Kinder, Küche, Kirche. "Das dritte K steht aber heute für Konzerne, denn das ist die neue Religion", so Bennholdt-Thomsen. "Hartz IV macht die Republik zum Arbeitslager", kritisiert sie.

Harsche Kritik an den neuen Regelungen äußert auch der scheidende AStA-Vorsitzende Stefan Bröhl, der eine Verbindung zur Bildungspolitik herstellt. Auch die werde immer ungerechter, die PISA-Studie habe gezeigt, dass das deutsche Bildungssystem hochselektiv sei. Studiengebühren würden dies noch verstärken, die Gebühren für so genannte Langzeitstudierende haben allein an der Universität Bielefeld zur Exmatrikulation von 2500 Studierenden geführt. "Auch Studienabbrecher sind von Hartz IV betroffen", so Bröhl. Auch er fordert die Betroffenen auf sich zu wehren. "Wir können nicht hoffen, dass die Politik vernünftig wird. Wir müssen denen auf die Füße treten und kämpfen", ruft er den Demonstranten zu.

Seiner Aufforderung "wir sollten gleich ins Rathaus reingehen und ihnen sagen, was wir davon halten, zur Not auch lauthals", können sie allerdings nur begrenzt nachkommen. Wegen der Ratsdebatte über die Bürgerbegehren (siehe weiteren Artikel im aktuellen Webwecker) waren die Zuschauerplätze im Ratssaal bereits von Mitarbeitern der Stadtwerke besetzt. So konnten die Demonstranten nur aus dem Foyer verfolgen, wie Sozialdezernent Thomas Kähler die Folgen von Hartz IV für Bielefeld darstellte.

Dadurch, dass der Bund 29,1 Prozent der Unterbringungskosten übernimmt, entstehen für die Kommune gegenüber der jetzigen Regelung voraussichtlich Einsparungen in Höhe von 2,3 Millionen Euro. Wie sein Parteifreund Pit Clausen setzt auch er auf "passgenaue Hilfen" für Arbeitslose, um die Unterbringungskosten zu senken. Kähler räumt aber auch ein, dass die Kooperation zwischen Bundesagentur für Arbeit und Kommune noch ebenso unklar ist, wie die Tatsache, ob diese überhaupt bis 1. Januar 2005 zustande kommt. Der Entwurf eines Kooperationsvertrages enthält deshalb auch Regelungen für den Fall, dass das nicht klappt. Die Bundesagentur für Arbeit müsste dann zum Beispiel die Eingliederungsmaßnahmen der REGE finanzieren.


webwecker@aulbi.de

zurück