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Lippische Landes-Zeitung , 21.07.2004 :

"An den Wassern zu Babylon ... " / Seltenes Wandbild aus jüdischem Besitz dem Freilichtmuseum übergeben

Detmold. "An den Wassern zu Babylon saßen wir, und weinten, wenn wir an Zion gedachten" - dieses Zitat aus Psalm 137 schmückt ein prächtiges gerahmtes Wandbild, das Helene Mühlmeier aus Lage-Waddenhausen dem Westfälischen Freilichtmuseum Detmold übergeben hat.

Thema des Bildes ist die "babylonische Gefangenschaft" des Volkes Israel, wie sie im Alten Testament beschrieben wird: Eine trauernde Familie sitzt am Ufer eines Flusses; im Hintergrund ist eine Stadt (Babylon) zu erkennen. Der farbige Druck aus dem späten 19. Jahrhundert entstand nach dem 1832 geschaffenen Gemälde "Die trauernden Juden im Exil" des Düsseldorfer Historienmalers Eduard Bendemann (1811 bis 1889).

Die Geschichte des Bildes ist nicht weniger anrührend als sein Inhalt: Wie Helene Mühlmeier (83) erzählt, gehörte es Berta Riesenfeld, einer Jüdin aus Waddenhausen, die der Judenverfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus zum Opfer fiel. Ende 1939/Anfang 1940 musste die alleinstehende Witwe Riesenfeld ihre Wohnung verlassen und wurde im Haus von Pauline und Auguste Jungekrüger in Waddenhausen, der Mutter und Großmutter von Frau Mühlmeier, "einquartiert".

Die beiden alten Frauen nahmen die Witwe auf und versorgten sie mit Essen - Juden erhielten zu dieser Zeit keine Lebensmittelkarten mehr. Abends saßen sie oft zusammen und spielten Schach oder Mühle. Anfang der 1940er-Jahre, erinnert sich Helene Mühlmeier, wurde Berta Riesenfeld von der Polizei "abgeholt" - sie war im Krankenhaus gewesen, konnte aber noch Bettzeug und einige wenige persönliche Sachen aus ihrer Wohnung mitnehmen und sich von Pauline und Auguste Jungekrüger verabschieden.

Der Hausrat von Berta Riesenfeld wurde durch das Finanzamt versteigert. Doch hatte sie das Bild mit den "trauernden Juden" nicht mit angegeben, sondern schon vorher Pauline Jungekrüger anvertraut - mit der Bitte, es für sie aufzubewahren, bis sie zurückkäme.

"Erinnerung anermordete Juden wach halten"
Dr. Heinrich Stiewe

Berta Riesenfeld kehrte nie zurück. Wohin sie kam und was aus ihr wurde, wusste Helene Mühlmeier nicht. Wie auf dem Mahnmal am Bielefelder Hauptbahnhof zu lesen ist, wurde die 64-jährige Berta Riesenfeld, geborene Tintner, im Dezember 1941 von dort mit einem der berüchtigten Deportationszüge ins Ghetto von Riga (Lettland) gebracht. Zusammen mit Zehntausenden anderen wurde sie dort ein Opfer des Holocaust, des Massenmords an den europäischen Juden.

Pauline Jungekrüger und später ihre Tochter bewahrten das Bild von Berta Riesenfeld über 60 Jahre lang sorgsam auf. Jetzt entschloss sich Helene Mühlmeier, es dem Freilichtmuseum zu übergeben. Durch Zeitungsberichte über den Wiederaufbau des Fachwerkhauses der jüdischen Familie Uhlmann aus Ovenhausen bei Höxter war sie auf das Museum aufmerksam geworden und meinte, dass das Bild dort gut aufgehoben sei. Nach Einschätzung Dr. Heinrich Stiewes vom Freilichtmuseum gehört es zu den ganz wenigen persönlichen Gegenständen aus jüdischem Besitz, die erhalten blieben.

Der Museumswissenschaftler hob hervor: "Wie das Haus der Familie Uhlmann aus Ovenhausen, das zur Zeit im Freilichtmuseum wieder aufgebaut wird, soll das Bild dazu beitragen, bei den Museumsbesuchern die Erinnerung an das Schicksal der deportierten und ermordeten Juden aus Westfalen-Lippe wach zu halten."

Für weitere Hinweise ist Dr. Heinrich Stiewe vom Landesmuseum für Volkskunde dankbar, (05231) 706-0.


detmold@lz-online.de

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