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Warburger Zeitung / Neue Westfälische , 20.07.2004 :

"Im Glauben tief verwurzelt" / "Zum Heroismus kann man niemanden verpflichten": Gedenken an Josef Wirmer

Von Sandra Wamers und Dieter Scholz

Warburg. Es sei schon bemerkenswert, dass in Warburg das ehrende Andenken an seinen Vater so hochgehalten werde, bemerkte Anton Wirmer, Sohn des 1944 vom Nazi-Regime hingerichteten Widerstandskämpfers Josef Wirmer, am Rande der gestrigen Gedenkfeier im Gymnasium Marianum.

Die Schulaula, in der Vertreter der Stadt und des Rates, des Kreises, der Kirchen, der Schulen und anderer öffentlichen Institutionen und Gruppen sowie die Schüler aus der Oberstufe des Marianum versammelt waren, sei zu Zeiten des Pennälers Josef Wirmer unter anderem das Amtszimmer des Vaters gewesen, erinnerte Bürgermeister Walter Hellmuth an die Kinder- und Jugendtage des Nazigegners in der Diemelstadt. Sicherlich eine prägende Stätte in der Biografie des angehenden Berliner Rechtsanwaltes.

"Am 20. Juli werden wir uns immer wieder durch die Kraft der Persönlichkeit der Widerstandskämpfer beeindrucken lassen", verneigte sich der Bürgermeister vor der Zivilcourage der Männer und Frauen aus der aktiven Gegnerschaft Hitlers. Das Gedenken stärke die Heutigen in ihren Grundüberzeugungen und Wertvorstellungen. Hellmuth appellierte an die Rückbesinnung des "humanistischen Ideenguts, das im Widerstand wirksam" geworden sei. Haltungen, die "erneut als Vermächtnis und Ansporn zur Lösung heutiger Aufgaben" empfunden werden sollten.

Festredner Prof. Günter Lange, katholischer Theologe aus Duisburg, versuchte sich vor den rund 200 Versammelten der Person Wirmers über dessen "Beheimatung und tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben" zu nähern. "Für christliche Freiheit und Sitte opferte er sein Leben", zitierte Lange die in Bronze gegossene Inschrift an der Wirmer-Gedenkleuchte auf dem Brüderkirchhof. Der ehemalige Professor für Religionskatechetik an der Ruhr-Uni in Bochum bemühte die theologischen Begriffe "Opfer" und "Martyrium", die sich im Engagement Wirmers ausgedrückt hätten. Zum Heldentum könne man allerdings nicht verpflichtet werden, erinnerte Lange an einen der "menschenfreundlichsten" Sätze aus der katholischen Morallehre. Doch entlaste der Satz nur vordergründig Durchschnitts-Christen und Normalbürger. "Besteht das Versagen der damals erwachsenen Deutschen nicht gerade in Unterlassungen – Mangel an Zivilcourage?".

Auch Josef Wirmer sei ein Genussmensch gewesen. "Ich habe immer in die Weite und Breite gestrebt und bin durchs Leben gestürzt. Ich hatte viele Bedürfnisse, und mein Ofen verbrauchte viele Kohlen. Wünsche und Ziele waren maßlos", schrieb Wirmer in einem Abschiedbrief. Doch über das private Wohlempfinden und die persönliche Lebenslust habe Wirmer Höherwertiges gestellt. Im Spiegel der damaligen Zeit als Hochverrat gebrandtmarkt, sei ihm bewusst gewesen, dass eine Fehlschlag des Attentats vom 20. Juli 1944 in tiefster öffentlicher Erniedrigung enden würde. Im Prozess vor dem Volksgerichtshof, im Angesicht des Terror-Richters Roland Freisler, habe sich Wirmer "auf der Schwelle" gesehen, führte Lange aus. Der Ausdruck, der mehrmals in Briefen aus der Haft auftauche, sei ein "diskreter Hinweis" Wirmers für seinen starken Glauben "an die von Gott geschenkte Gerechtigkeit und Lebensfülle jenseits des individuellen Todes".

"Für welche Sache hat Josef Wirmer sein Leben geopfert?", fragte der Geistliche, der Anfang der 50er Jahre ebenfalls am Gymnasium Marianum in Warburg die Abiturprüfung abgelegt hatte. Wieder bemühte Lange in seiner Rede die Inschrift an der Wirmer-Säule: "Lasst uns streiten für unser Volk und Heiligtum", stehe dort zu lesen. Wirmers national-patriotistische Haltung und seine christliche Sorge um die Menschlichkeit, das seien die Antriebskräfte seines Widerstandes gegen die Nazi-Ideologie gewesen.

Im Gegensatz zu den damaligen Kirchenführern. Der katholische Episkopat habe dagegen versucht, nach Harmonie zu streben. Dem bischöflichen Ruf nach "Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit" war allerdings vor der Machtergreifung die öffentliche und strikte Verurteilung der NS-Ideologie vorausgegangen. Man habe sich verpflichtet gefühlt, "den Gläubigen vermeidbare Verfolgungen zu ersparen", bemerkte der emeritierte Theologie-Professor. Dagegen sei der bodenständige, traditionell geprägte Glaube des Westfalen Wirmer immun gewesen. Ein, auch emotional durchlebter, Loyalitätskonflikt, den der kirchentreue Katholik gespürt haben müsse, so der gebürtige Borgentreicher.

"Ich bin tief religiös und aus meiner religiösen Anschauung heraus zur Verschwörung gekommen", hatte der damals 43-Jährige Inhaftierte gegenüber seinem Pflichtverteidiger gesagt. Eine Motivation, die fordere: Wo Grundsätzliches auf dem Spiel stehe, couragiert gegen billige Modetrends und vorschnelle Meinungsströme redend und handelnd aufzutreten.


lok-red.warburg@neue-westfaelische.de

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