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Schaumburger Zeitung , 20.07.2004 :

Eilser Augenarzt rettet einer Jüdin das Leben / Der Kurort kann stolz sein auf seinen ehemaligen Bürger Dr. Friedrich von Tippelskirch

Von Friedrich Winkelhake

Bad Eilsen. Die Schriftstellerin Etta von Oertzen aus Bad Doberan war eine der in den 30er Jahren sehr bedeutenden Patientinnen des weltweit anerkannten Augenarztes Dr. Friedrich von Tippelskirch in Bad Eilsen. Die tiefgläubige Frau von Oertzen muss wohl mehr als die Behandlung ihrer nachlassenden Sehkraft mit den Tippelskirchs verbunden haben.

In der Zeit der Bespitzelung und Denunziation während der NS-Zeit vertraute sie ihrem Facharzt scheinbar bedingungslos. Sie muss ihm wohl ausführlich von ihrer Arbeit im Helferkreis für die von Deportation bedrohten jüdischen Bürger berichtet haben. Etta von Oertzen gedachte dem Bad Eilser Augenarzt sogar eine bedeutende Rolle in dieser Untergrundarbeit zu.

In ihrem kleinen, halb verfallenen Haus in Bad Doberan hatte sie die Jüdin Clarisse Blumenthal vor dem Zugriff der Nazis versteckt. Die 50-jährige Clarisse war bis zum Jahr 1941 als Leitende Fürsorgerin in Berlin tätig gewesen. Entsprechend den NS-Gesetzen wurde sie ihrer Stellung enthoben und als "Sternträgerin" in eine Fabrik zur Zwangsarbeit eingewiesen. Die Arbeit dort war für sie ungewohnt und viel zu schwer. Die Entlohnung reichte nicht einmal für nötige Lebensmittel und die Wohnungsmiete. Der Dahlemer "Kaufmann-Kreis" spürte solche notleidenden jüdischen Bürger auf und unterstütze sie, so gut er konnte. Als Clarisse Blumenthal am 25. Juli 1942 einen Betriebsunfall erlitt und arbeitsunfähig wurde, war ihr Schicksal eigentlich schon besiegelt. Dieser Unfall bedeutete natürlich dieDeportation in ein Konzentrationslager.

Im Kaufmann-Kreis versprach man Hilfe in dieser auswegslosen Situation. Die Mitarbeiterin Helene Jacobs nahm Clarisse ohne Papiere und Lebensmittelkarten vom 30. Juli bis zum 15. August in ihrer Wohnung auf. Inzwischen konnte man gefälschte Papiere "besorgen". Mit dem falschen Ausweis und einer Fahrkarte erreichte sie Bad Doberan. Dort konnte die Untergetauchte eine Zeit lang unauffällig wie ein Kurgast verweilen. Allzu lange konnte sie allerdings in dem kleinen Kurort auch nicht bleiben. Das war zu riskant.

Dr. von Tippelskirch willigte ein, als Etta von Oertzen ihn um Hilfe bat. Vom Oktober 1942 bis zum Ende des Krieges und Zusammenbruch des NS-Regimes lebte Clarisse Blumenthal unangemeldet mit falschen Pass und auch ohne Lebensmittelkarten im Haus Klipenkamp am Ende der Harrlallee (heute als "Waldhof" bekannte frühere Augenklinik des Dr. von Tippelskirch). Eigentlich musste es schon auffallen, dass Clarisse weder Lebensmittelkarten noch die begehrten Scheine für Sonderzuteilungen erhielt. Im Haus selbst bei den bis zu 25 Angestellten wurde sie als eine Cousine zweiten Grades vorgestellt und überhaupt jedes Gespräch außerhalb über das Haus untersagt.

Gelegentlich fuhr die "Cousine" für einige Wochen zu Etta von Oertzen oder zu einer Freundin der Familie nach Hamburg. Im Haus übernahm Frau Blumenthal alle möglichen Arbeiten. Sie war eine stille und freundliche Bewohnerin und wurde völlig integriert. Bis zum Ende der NS-Zeit war ihr Aufenthalt in Bad Eilsen für die Familie von Tippelskirch ein großes Risiko.

Auch nach geglücktem Überleben der Berlinerin wurde aber von Friedrich von Tippelskirch nie über diese aufrechte Tat gesprochen. Für ihn schien diese Hilfe selbstverständlich gewesen zu sein. Die Bad Eilser dürfen stolz auf die Familie von Tippelskirch und auch auf alle Angestellten der Klinik sein, die etwas geahnt oder gar gewusst haben – und dennoch keine Denunzianten wurden.


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