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Lippische Landes-Zeitung , 17.07.2004 :

"Von meinem Uropa kann man lernen" / Urenkel Felix Fechenbachs im Interview - Mit 16 Jahren ein politischer Idealist

Von Serhat Ünaldi

Detmold. 16 Jahre und schon ziemlich weise. Tobias Wiederkehr ist trotz seines jungen Alters schon seit Jahren politisch aktiv. Im linken Lager der schweizerischen Politik zu Hause, bewegt er sich auf den Spuren seines Urgroßvaters Felix Fechenbach. Der jüdische Journalist der für das Lippische Volksblatt schrieb, wurde unter anderem wegen seiner sozialdemokratischen Haltung von den Nazis erschossen. Über Mut und junge Politik sprach mit Tobias Wiederkehr LZ-Mitarbeiter Serhat Ünaldi.

LZ: Du hörst gerne Musik, dann kennst du bestimmt die "Söhne Mannheims"?
Tobias Wiederkehr: (Lacht) Nein, von denen hab ich in der Schweiz noch nie gehört.

LZ: Das aktuelle Lied von denen hat den Refrain "Vielleicht hör'n sie nicht hin. Vielleicht seh'n sie nicht gut. Vielleicht fehlt ihnen der Sinn, oder es fehlt ihnen Mut". Was glaubst du, fehlt den Menschen heute?
Tobias: Es fehlt ihnen die Feinfühligkeit, das Miteinander. Sie können keine Kompromisse eingehen und hören nicht mehr aufeinander.

LZ: War dein Urgroßvater anders als die Menschen heute?
Tobias: Ja, er war mutig. Obwohl er wusste, dass er in Gefahr war, blieb er in Deutschland. Er hat seine Ideale vertreten und dafür mit dem Leben bezahlt. Diese Art von Mut ist heute nicht mehr so gefragt. Wenn es wieder so eine Situation wie damals geben würde, ich weiß nicht, was die Menschen tun würden. Aber es sind heute sicher weniger Leute politisch interessiert als früher.

LZ: Wenn du später mal einen Sohn hast, der alles andere als mutig ist, der den ganzen Tag nur Fernsehen guckt, was würdest du dem sagen?
Tobias: Ich würde mich zuerst mal fragen, was hast du falsch gemacht (lacht)? Nein, wirklich. Ich möchte niemanden zur Politik drängen, aber ein gewisses Grundverständnis, das finde ich schon sehr wichtig. Man sollte sich für irgendetwas interessieren, das mit der Gesellschaft zu tun hat.

LZ: Fehlt es deinen Altersgenossen an diesem Grundverständnis?
Tobias: Vielen fehlt es, ja. Einerseits ist das Elternhaus auch absolut uninteressiert - bei uns in der Schweiz ist das noch schlimmer als in Deutschland. Wenn wir eine Wahlbeteiligung von 40 Prozent haben, dann sind wir ja schon glücklich. Andererseits hängt auch in der Schule natürlich auch vieles von den Lehrern ab.

LZ: Wie kann man das ändern?
Tobias: Vielleicht kann man die Politik für junge Leute interessanter machen. Bei uns im Bundesrat liegt das Durchschnittsalter bei 64, glaube ich. Dass die jüngste Person dort 55 ist macht diesen Altherrenclub nicht unbedingt attraktiv für junge Menschen. Es sollte viel mehr Aktionen für Jugendliche geben.

LZ: Gerade du hast doch da bestimmt viele Ideen.
Tobias: Ich habe mir natürlich schon Gedanken gemacht, aber bei vielen Vorschlägen sagen dann die Alten: Nein, das wollen wir überhaupt nicht. Zum Beispiel hätten die jungen Leute beim Irak-Krieg interessiert werden können. Man hätte ihnen sagen können: "Seht ihr, das könnt ihr mit politischem Engagement verhindern." Oder bei der Debatte um die Legalisierung von Hanf ... am Ende wurde das abgelehnt. Aber es wird doch sowieso gekifft. Ich sehe das doch an der eigenen Schule. Es bringt deshalb doch nichts ein Gesetz zu machen, das doch nicht umzusetzen ist. Anstatt es zu verbieten müsste man zum Beispiel Altersgrenzen setzen oder anfangen zu kontrollieren, dass der Hanf nicht verunreinigt ist. Man hätte das nicht nur im Rat diskutieren sollen, sondern man hätte die Jugendlichen fragen können: "Wie seht ihr das?" Die Jungen müssen das Gefühl bekommen, dass sie von der Politik ernst genommen werden. Es sollte zusammen diskutiert werden.

LZ: Und wie soll das praktisch passieren?
Tobias: Man könnte zum Beispiel junge politisch interessierte Leute mal in den Rat einladen und denen zuhören. Leute, die sich gar nicht politisch interessieren, wird man kaum gewinnen können.

LZ: Das hört sich nach Resignation an ...
Tobias: Nein, man kann ja anfangen, politisches Interesse zu wecken. Die Politik kann doch zum Beispiel die Schule steuern und sagen: "Wir würden an die Schule kommen, wollt ihr das?" Das wäre doch spannend.

LZ: Hast du diese Idee schonmal geäußert?
Tobias: Wo sollte ich das tun? Es gibt für junge Leute viel zu wenig Ansprechpartner in der Politik. Und wenn wir es mitteilen, werden wir nicht ernst genommen. Deshalb resignieren die jungen Leute ja auch. Die sagen sich: "Wir werden ja eh nicht gehört, warum machen wir dann überhaupt etwas?"

LZ: Dein Uropa hat nie aufgegeben Ist er dein Vorbild?
Tobias: Politisch schon. Man muss einfach ein Idealist sein, um politisch aktiv zu sein. Mein Uropa ist für seine Visionen, für die Zukunft gestorben. Er wollte, dass jeder seine politische Meinung äußert ... und dann machen wir es nicht. Da sollte man daraus lernen.

Stichwort / Tobias

In Detmold ist er der Urenkel Felix Fechenbachs, in der Schweiz kennt man Tobias Wiederkehr als eines der jüngsten Mitglieder der SP - der alpenländischen Ausgabe der SPD. Am 12. Juli 1988 in Baden/Schweiz geboren ist Tobias der Sohn von Kathie Wiederkehr, die wiederum die Tochter von Fechenbach-Tochter Lotti ist. Fechenbachs Frau Irma hatte zu Beginn der Nazi-Herrschaft mit den drei Kindern die Flucht in die Schweiz geschafft. Nach Ende des Krieges mussten sie das Land verlassen und gelangten - mit Hilfe von Familienfreund Albert Einstein - in die USA. Lotti kehrte später zurück. Ebenso Mutter Irma. Tobias Fechenbach ist früh in die SP eingetreten: "Der Auslöser war, als die rechte Fraktion - die in der Schweiz am stärksten ist - das Einbürgerungsrecht verschärft hat. Danach konnten nur noch Leute aus bestimmten Ländern eingebürgert werden. Ich dachte: Diese Ungerechtigkeit darf nicht sein." In seiner Freizeit spielt der 16-Jährige Fußball, hört Musik und liest gerne. Das größte Vorbild ist für Tobias der Dalai Lama. In Detmold machte er ein Praktikum bei der städtischen Öffentlichkeitsarbeit.

17./18.07.2004
detmold@lz-online.de

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