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Schaumburger Zeitung , 08.07.2004 :

Gegen das Verdrängen: Warum das Gras nicht wachsen darf ... / "Aufstand des Gewissens": Prof. Dr. Christian Pfeiffer zu Gast in Achum

Von Thomas Meinecke

Achum. "Widerstand gegen Totalitarismus - Bürgertugend oder Verfassungsnorm?" In einem kühnen Bogen vom 60 Jahre zurückliegenden Geschehen in die Gegenwart gibt es für Prof. Dr. Christian Pfeiffer nur eine Antwort: "Bürgertugend!" Im Rahmen der Reihe "Aufstand des Gewissens" war der Referent zu Gast im Hörsaal der Heeresfliegerwaffenschule in Achum.

Pfeiffer hat einen persönlichen Bezug zu den Vorgängen am 20. Juli 1944. Sein Vater hätte als Soldat eine Rundfunkübertragung der Widerständler absichern sollen. Wegen eines Bombenangriffs verzögerte sich seine Anreise. In Berlin eingetroffen, war der Putsch gegen die Nazis schon gescheitert. Pfeiffer senior verließ die Stadt - blieb unentdeckt und überlebte.

"Ist''s heute an der Zeit, Gras über die damalige Sache wachsen zu lassen?", wendet der Referent den heute immer wieder zu hörenden Stammtischsatz in eine rhetorische Frage. Die Antwort können sich die gut 70 Zuhörer selbst geben, als ihnen Pfeiffer die Geschichte der 22-jährigen Studentin aus Hannover erzählt. Diese engagierte sich für ein gedeihliches Miteinander von Deutschen und Ausländern. Und erhielt in der Folge Schmähbriefe übelster Sorte und Morddrohungen.

Pfeiffer - als Kriminologe ein ausgewiesener Experte - erinnert an die unverhohlene Fremdenfeindlichkeit, die gerade unter Jugendlichen - besonders unter männlichen - verbreitet ist. Eine Umfrage unter Jugendlichen in Westdeutschland ergab laut Pfeiffer: 14 Prozent möchten nicht neben jüdischen Nachbarn leben, jeder Dritte glaubt, Juden arbeiten mit Tricks, und fast jeder Zweite würde "niemals" mit einem jüdischen Mädchen tanzen. "Antisemitismus geht einher mit Fremdenfeindlichkeit", schlussfolgert Pfeiffer. Und: "Man kann dem entgegenwirken, indem man darüber redet, was geschehen ist."

Ausführlich beschäftigt sich der Referent mit der unseligen Geschichte der Justiz zur Nazizeit. An dieser Stelle sei auf die umfangreiche Literatur zum Thema verwiesen. Interessant sind Pfeiffers Thesen, weshalb die Justiz sich zum Büttel der Nazis machte: "Das damals in allen Gesellschaftsschichten weit verbreitete angepasst-autoritätshörige Verhalten und der über Generationen hinweg entwickelte Glaube an die unbedingte Pflichterfüllung sind die Ursachen."

Aus seinem wissenschaftlichen Fundus schöpfend, steuert Pfeiffer als weitere Erkenntnis bei: Männer sind tendenziell gewaltbereiter, Frauen tendenziell hilfsbereiter. Übrigens auch dies ein Resultat der Erziehung: Weshalb, sofern es um "Bürgertugend" geht, wir alle gefordert sind - Männlein wie Weiblein.


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