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Schaumburger Nachrichten , 02.11.2007 :

Bad Lauterberg zeigt Nazis die kalte Schulter / Delmenhorst ist kein Vorbild

Von Saskia Döhner

Bad Lauterberg. "Wir wollen eine Gemeinde sein, die sich wehrt." Seit Jahren kämpft Fritz Vokuhl, Grünen-Ratsherr aus Bad Lauterberg, gegen die rechtsextremistischen Umtriebe im Südharz. Es sei manchmal ein recht einsamer Kampf gewesen, sagt der 56-jährige Kaufmann im Vorruhestand. Doch seit einigen Wochen ist das anders. Vor Kurzem haben 1.500 Menschen in Bad Lauterberg gegen die NPD demonstriert. Das Besondere: Die Demonstranten waren zum Großteil Beschäftigte aus 20 Betrieben, die für einige Stunden ihre Arbeit niederlegten und mit Sonderbussen zu der Kundgebung fuhren.

Organisiert worden war der Protest von der Industriegewerkschaft Metall. "Es war höchste Zeit, Flagge zu zeigen", sagt Manfred Zaffke, Erster Bevollmächtigter der IG-Metall-Verwaltungsstelle in Osterode. "Noch ist die NPD in der Rekrutierungsphase, wir wollten nicht bis zu den ersten gewalttätigen Übergriffen warten." Schon jetzt herrsche eine Atmosphäre der Angst in manchen Betrieben. Einige Betriebsräte fürchteten, sich offen gegen Rechtsextremismus zu äußern, weil es verdeckte Einschüchterungsversuche gegen sie und ihre Familie gebe.

Ebenso erschreckend wie die 268 Stimmen für die NPD bei der Kommunalwahl 2006 in Bad Lauterberg und das immer offensivere Auftreten ihrer Aktivisten findet Zaffke auch die Reaktion vieler Bürger: "Wenn man über Rechtsextremismus redet, heißt es oft, man solle die Region nicht miesmachen." Ein Problem, das auch der parteilose Bürgermeister Otto Matzenauer kennt: "Wir wollen uns wehren, aber wir sind keine Hochburg der Rechtsextremen und lassen uns nicht in eine Ecke drängen, in die wir nicht hineingehören." Bad Lauterberg lebt von seinem Ruf. Wer möchte in einer Stadt Urlaub machen, in der Neonazis gern wohnen? Gerade deshalb sei es so wichtig, den Rechtsextremisten Kontra zu bieten, sagt der Bürgermeister: "Wir wollen euch hier nicht", hat Matzenauer bei der Demonstration an die Adresse der Rechten gerufen.

Die Demonstration war der erste Schritt im Kampf gegen rechts. Ein runder Tisch, ein lokaler Präventionsrat, nicht zuletzt ein hauptamtlicher Jugendpfleger sind weitere. Der letzte war aus Kostengründen eingespart worden.

Andererseits will der Bürgermeister auch nicht zu laut Kontra geben, denn sonst könne der Eindruck entstehen, es sei doch sehr schlimm mit den Rechtsextremen in Bad Lauterberg. Wie viele andere Bürgermeister von Gemeinden, in denen seit der Kommunalwahl 2006 NPD-Mitglieder im Rat sitzen, fordert der 60-Jährige ein NPD-Verbot: "Dann hätten wir das Problem nicht."

Den Touristen, die an diesem Herbsttag durch die malerische Fußgängerzone schlendern, ist Bad Lauterbergs rechtes Problem sowieso völlig unbekannt. "Neonazis?" Der Mittfünfziger aus Nordrhein-Westfalen schüttelt den Kopf. "Haben wir nicht gesehen, wir waren allerdings auch meistens im Wald und nicht in der Stadt." Aber auch in der Stadt sieht man fast nie junge Männer mit kahl geschorenen Haaren oder Springerstiefeln. Den Geschäftsleuten ist das ganz recht. Sie wollen lieber gar nichts sehen. Ob im Lebensmittelladen, im Schreibwarengeschäft oder in der Buchhandlung – "dazu möchte ich lieber nichts sagen", ist die häufigste Antwort.

Vokuhl, der Sprecher des jüngst gegründeten Bürgerbündnisses "Bunt statt braun" ist, beobachtet die rechte Szene seit Jahren. Er weiß von rund 20 bis 30 gewaltbereiten Rechtsextremisten, die in der Region zu Hause sind. Die Szene trifft sich unauffällig – und ein wenig abseits. Etwa in einem Tattoostudio oder einer Spielhalle. Früher trank man auch in einer Kneipe im außerhalb gelegenen Ortsteil Odertal ein Bier. Hier feierte die NPD ihren Wahlsieg vor gut einem Jahr. "Ich mach das jetzt nicht mehr", sagt die Wirtin, die ihr Lokal extra umbenannt hat. "Das hat einfach überhandgenommen", fügt sie hinzu und meint nicht ihre rechtsextremen Gäste, sondern die Berichterstattung der Medien darüber.

Gleich vier der ersten 20 NPD-Listenkandidaten für die Landtagswahl sind in der 11 700-Einwohner-Stadt zu Hause, zudem zwei weitere, die als Direktkandidaten in Hannover antreten sollen. Auf Nummer vier der NPD-Liste steht Michael Hahn. Der 37-Jährige, dem gute Kontakte zu Thorsten Heise nachgesagt werden, sitzt für die NPD im Bad Lauterberger Stadtrat: "Ich war sehr erstaunt, wie freundlich die meisten Ratsmitglieder auf mich zukamen." Das habe sich jedoch geändert, als die NPD im April 2007 im benachbarten Scharzfeld ihren Landesparteitag abhielt und die politische Ernsthaftigkeit der Partei sichtbar geworden sei. Aber, sagt Hahn: "Mein Sitznachbar im Rat ist mein alter Fußballtrainer, der sich von der ganzen Gegen-rechts-Hysterie natürlich nicht hat anstecken lassen."

Delmenhorst ist kein Vorbild

Von Gabriele Schulte

Hannover. Dörverden, Hameln, Melle: Überall im Land müssen sich Kommunen mit Versuchen von Rechtsextremen auseinandersetzen, im Ort einen Treffpunkt für Neonazis einzurichten. Drahtzieher ist immer wieder der Hamburger Jürgen Rieger. Der Rechtsanwalt kauft Gebäude und kündigt an, dort Versammlungen abzuhalten. Schlagzeilen machte die Spendensammlung Delmenhorster Nazi-Gegner im vergangenen Jahr. Gemeinsam mit der Stadt kauften sie für drei Millionen Euro ein Hotel, das Rieger als Schulungszentrum nutzen wollte. Bis heute wird diskutiert, wie das leer stehende Gebäude nun genutzt werden kann. Die Stadt Melle wollte sich auf ein solch teures Wettbieten mit Rieger nicht einlassen und hat diesem den alten Bahnhof zum Kauf überlassen.

"Es kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, dass da jemand über Land zieht und die Preise für marode Immobilien in die Höhe treibt", meint auch Thorsten Bullerdiek vom Städte- und Gemeindebund. Der Verband setzt in "Empfehlungen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus" auf Prävention in Vereinen, Schule und Elternhaus. Sinnvoll sei, sich vom Verfassungsschutz beraten zu lassen. Das Innenministerium hat ein "Netzwerk" gegen rechts von Land und Kommunen vorbereitet.

Manchmal ist die Lösung einfach. So reichte in Hameln ein baupolizeiliches Verbot, das von Rieger gekaufte marode ehemalige Kino für Versammlungen zu nutzen. Melle will es mit dem alten Bahnhof auf ähnliche Weise versuchen. Vor Riegers "Heisenhof" in Dörverden hat die Gemeinde als Gefahrenabwehrbehörde ein Schild "Betreten verboten" aufgestellt. Vor Gericht werden zudem noch die komplizierten Besitzverhältnisse geklärt.

"Seit Anfang des Jahres hat sich von den rechten Bewohnern keiner mehr blicken lassen", berichtet Bernward Nüttgens vom Bürgerbündnis, das "Sonntagsspaziergänge" und andere Aktionen organisiert hat. Falls Rieger das Verfahren verliert, werde es ein Abschlussfest geben – "am liebsten auf dem Heisenhof".


sn@madsack.de

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