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junge Welt , 24.04.2007 :

"Die Abschiebehaft ist ein Verschiebebahnhof" / Flüchtlingsgruppen tagten in Paderborn / Referentin von türkischem Staat an der Ausreise gehindert / Ein Gespräch mit Frank Gockel

Interview: Markus Bernhardt

Frank Gockel ist Vorsitzender des Bürener Vereins "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft" und gehört zu den Organisatoren der 7. Fachtagung gegen Abschiebehaft

Am Wochenende fand im nordrhein-westfälischen Paderborn die 7. Fachtagung gegen Abschiebehaft statt. Die türkische Rechtsanwältin Eren Keskin, die dort über das Thema Flüchtlingspolitik in der Türkei referieren sollte, wurde am Samstag morgen am Flughafen Istanbul festgenommen und an der Ausreise gehindert. Warum?

Aktuell laufen zwei Strafverfahren gegen Eren Keskin in der Türkei. Diese nutzte die Polizei als Vorwand, die engagierte Menschenrechtlerin, die auch Vorsitzende der Istanbuler Sektion des türkischen Menschenrechtsvereins IHD ist, an der Ausreise zu hindern. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Eren Keskin auf dem Weg zu einem Vortrag befand und dass ihr von den Behörden die Ausreise aus der Türkei untersagt wurde. Aufgrund ihres unerbittlichen Einsatzes für die Menschenrechte ist sie immer wieder mit Schikanen seitens des türkischen Staates konfrontiert.

Werden Sie juristisch gegen die Inhaftierung von Frau Keskin vorgehen?

Eren Keskin ist zwar noch am Samstag Mittag wieder auf freien Fuß gesetzt worden, musste sich jedoch am Montag bei der türkischen Staatsanwaltschaft melden. Was dort passiert ist, wissen wir derzeit noch nicht. Wir haben jedoch auf unserer Tagung Geld gesammelt, um sie bei den anstehenden Verfahren zu unterstützen. Außerdem werde ich mich in den nächsten Tagen mit einem Brief an die türkische Botschaft wenden und mich über das Verhalten der türkischen Behörden beschweren.

Was waren die zentralen Themen, mit denen sich die Tagungsteilnehmer ansonsten befasst haben?

Ein Schwerpunkt war die so genannte Dublin-II-Verordnung, die eigentlich regeln soll, welcher europäische Staat für das Asylverfahren eines Flüchtlings zuständig ist. Das ist vom Grundsatz her der Staat, in dem der Flüchtling erstmals in Europa registriert wurde. Die Verordnung hat jedoch in der Praxis dazu geführt, dass die Abschiebehaft ein riesiger Verschiebebahnhof für Flüchtlinge innerhalb Europas geworden ist. Allein die Abschiebehäftlinge in Deutschland sitzen aufgrund dieser Verordnung teilweise monatelang in Haft. Auch stellt "Dublin II" nicht sicher, dass wirklich allen Flüchtlingen der Zugang zu einem Asylverfahren eröffnet wird, so dass immer wieder Menschen abgeschoben werden, die nicht in der Lage waren, überhaupt Asyl zu beantragen.

Die Tagungsteilnehmer befürchteten zudem eine weitere Ausdehnung der Abschiebehaft aufgrund des neuen Zuwanderungsgesetzes.

Ja. Indem die Politiker in der Öffentlichkeit fast ausschließlich über die so genannte Altfallregelung sprechen, täuschen sie ein großzügiges Bleiberecht durch das neue Zuwanderungsgesetz vor. Mit der Altfallregelung beschäftigen sich jedoch lediglich zwei Seiten einer 450 Seiten starken Gesetzesänderung. Viele dieser Änderungen führen für Flüchtlinge zu einer massiven Verschlechterung ihrer Situation.

Die Ausländerbehörde übernimmt beispielsweise polizeiliche Aufgaben, wie das Festhalten von Menschen ohne richterlichen Beschluss Außerdem werden neue Abschiebehaftformen eingeführt, so dass die Zahl der inhaftierten Flüchtlinge steigen wird. Forderungen der Flüchtlingsunterstützergruppen, wie die nach einem Verbot, Kinder und Jugendliche zu inhaftieren, wurden unterdessen nicht in das Gesetz aufgenommen.

In den vergangenen Jahren hat die Solidaritätsarbeit für Abschiebehäftlinge beständig abgenommen. Warum?

Ich engagiere mich mittlerweile seit über zehn Jahren in der Flüchtlingsarbeit und es tut – bildlich gesprochen – weh, immer wieder mit dem Kopf vor Wände zu laufen. Es ist keine Seltenheit, dass es Menschen einfach nicht mehr aushalten, sich für Flüchtlinge stark zu machen, wenn sie stetig erleben müssen, dass diese trotz vielseitigem Engagement in Not, Elend und manchmal auch in den Tod abgeschoben werden. Es ist daher unabdingbar, die verschiedenen Strukturen der Flüchtlingsunterstützer auch zukünftig zu stützen.


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