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Neue Westfälische 11 - Bünde , 01.09.2015 :

Eine ungewöhnliche Freundschaft / Familie aus den USA ist zu Besuch in Bünde, um ihre jüdischen Wurzeln zu ergründen

Von Thorsten Mailänder

Bünde. Vor 15 Jahren trafen sich der Bünder Horst Menke (80) und der US-Amerikaner Alfred Spiegel (86) zufällig auf einer Urlaubsreise in Kanada. Die zwei Männer mussten überrascht feststellen, dass beide ihre Kindheit in der Zigarrenstadt verbracht hatten. Inzwischen ist aus diesem Zufall eine ungewöhnliche Freundschaft geworden, die als Beispiel zur Völkerverständigung dienen kann.

Die Nationalsozialisten vertrieben im Jahre 1938 den damals zehnjährigen Alfred Spiegel mit seiner Familie aus Deutschland. Die jüdische Familie zog von Bünde in die USA. 62 Jahre später kam es dann zu der außergewöhnlichen Begegnung: Menke und Spiegel schlossen Freundschaft, die seit dem Jahr 2000 besteht und sich mittlerweile weit in die Familien verzweigt hat.

Am vergangenen Wochenende war Melani Spiegel-Rosenbloom mit ihrem Ehemann Brian und ihren Kindern Hanna (9) und Maya (7) im Bünder Land. Sie ist das Enkelkind von Alfred Spiegel und lebt mit ihrer Familie in der US-Hauptstadt Washington D.C. Melani Spiegel-Rosenbloom arbeitet dort als Lehrerin und ihr Mann als Patentanwalt.

Die Familie nutzte die Zeit in Bünde, um die Freundschaft mit den Menkes zu vertiefen. Nach dem Besuch eines Freizeitparks am Samstag besuchten die vier Amerikaner Horst Menkes Tochter Tanja, die in Minden wohnt. Am Sonntagmorgen besuchte die Familie Spiegel-Rosenbloom zusammen mit Horst Menke den jüdischen Friedhof in Enger.

Der Friedhof ist seit 1938 geschlossen und mit einem gusseiserenen Tor gesichert. Menke hatte den Schlüssel für das Tor vom Friedhofsamt in Enger besorgt. Auf dem Friedhof liegt das Grab der Großmutter Alfred Spiegels. Nach einer jüdischen Tradition legten die Familienmitglieder kleine Steinchen auf das Grab. Der Grabstein trägt die Inschrift: "Hier ruht in Frieden meine erste Frau, unsere gute Mutter Bertha Weiß, geb. Pagener. Geboren: 13 April 1869, Gestorben: 13. Oktober 1921".

Beim Grabstein äußerten Horst Menke und Melani Spiegel-Rosenbloom die Vermutung, dass im Laufe der über 90 Jahre der Gedenkstein erneuert worden ist. "Der Stein ist längst nicht so verwittert, wie die anderen auf dem Friedhof und ist aus einem anderen Material", sagte Melani Spiegel-Rosenbloom, die gut Deutsch spricht. "Ich hatte das Grab an einer anderen Stelle in Erinnerung", so die Enkelin Alfred Spiegels.

Sie hatte den Friedhof schon einmal vor zwölf Jahren besucht und hält eine Umbettung für nicht ausgeschlossen. Eine Mitarbeiterin des Friedhofsamtes in Enger konnte diese Vermutungen auf Anfrage der NW nicht bestätigen, aber auch nicht ausschließen. "Es war ein großer Wunsch Alfred Spiegels, dass Melani mit ihrer Familie das Grab seiner Oma besucht und ein Foto macht", erklärt Horst Menke den Grund des intensiven Besuches an diesem Ort der Stille.

Wegen der großen Hitze wurde der Stadtrundgang in Bünde mit Christina Whitelow für die amerikanische Familie am Sonntagnachmittag erheblich verkürzt. Am Montagmorgen besuchte Melani Spiegel-Rosenbloom das Gymnasium am Markt und traf dort mit Schulleiterin Karin Stallmann und Lehrerin Sigrid Höpker sowie den Schülerinnen Kira Reimann und Leonie Schwannecke zusammen.

Über die Netzwerk-Gruppe gegen das Vergessen des Holocaust möchte man die gegenseitigen Austauschmöglichkeiten vertiefen. "Der Brief, das Internet, das Telefon oder via Skype sind erste Kontaktmöglichkeiten", so Schulleiterin Karin Stallmann, die natürlich hofft, dass am Ende ein Schüleraustausch zwischen Bünde und Washington D.C. steht: "Träumen darf man", fügte die Schulleiterin hinzu.

Während ihre Mutter in der Schule weilte, nutzen ihre Kinder Hanna und Maya die Zeit, um die Bünder Innenstadt zu erkunden. Am Ende des Aufenthaltes in Deutschland möchte Familie Spiegel-Rosenbloom in Franken sein, um dort die Städte Würzburg und Rothenburg ob der Tauber zu sehen. "Ich plane nicht für mich, sondern ich möchte die Generationen zusammenführen und Freundschaften festigen", sagte Horst Menke nach dem Abschied.

Bildunterschrift: Keine leichte Aufgabe: Hanna öffnet das alte Tor zum Friedhof in Enger.

Bildunterschrift: Sehr alt: Der jüdische Friedhof in Enger-Siele.

Bildunterschrift: Pflegen die Freundschaft: Melani Spiegel-Rosenbloom und Horst Menke am Grab von Bertha Weiß.


buende@nw.de

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