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Lippische Landes-Zeitung , 30.12.2009 :

Ein Verein verschwindet in Umzugskartons / Der Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten löst sich morgen auf / Kommentar

Von Thorsten Engelhardt

Seit 1987 hat der Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten (BEZ) von Detmold aus auf NS-Unrecht aufmerksam gemacht. Aber jetzt löst sich der Verein auf.

Detmold. Marga Heß packt Aktenordner ein. "Ich habe das hier mit aufgebaut, jetzt baue ich es mit ab", sagt die 74-Jährige mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme. "Das" ist die Geschäftsstelle des BEZ an der Detmolder Schorenstraße. Morgen endet die Vereinsgeschichte.

Immer wieder hat der BEZ an das Unrecht erinnert, das durch Zwangssterilisationen und die Ermordung "lebensunwerter" Menschen in der NS-Zeit verübt worden ist. Letztlich bleibt Marga Heß, der Vereinsvorsitzenden, und der Geschäftsführerin Margret Hamm nur eine gemischte Bilanz.

Bisher ist der Verein vom Bundesgesundheitsministerium gefördert worden. Doch die Bürokratie ist stetig gewachsen. "Der Aufwand steht in keinem Verhältnis mehr zur Zeit, die wir für die Opferbetreuung selbst haben", sagt Margret Hamm. Für Marga Heß reiht sich das ein in die bisherige Behandlung der NS-Opfer von "Euthanasie" und Zwangssterilisation. Ihnen sei von der Bundesrepublik nie genügend Aufmerksamkeit entgegen gebracht worden. Stattdessen hätten sie weiter Ausgrenzung und Einschränkungen erleben müssen. Das vor fast 76 Jahren in Kraft getretene Gesetz "zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" als Grundlage des Unrechtes sei in der Bundesrepublik zwar 2007 geächtet, aber nie für nichtig erklärt worden, eine Anerkennung als NS-Opfer hätten die Betroffenen daher nie erfahren, erläutert Margret Hamm (64). "Dieser Kampf um Anerkennung ist aber so wichtig, weil die Menschen oft am Existenzminimum leben." Entschädigungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz hätten die Betroffenen nicht erhalten. Wenn überhaupt, seien nur geringere Summen als in diesem Gesetz vorgesehen gezahlt worden. "Das empört uns sehr", sagt Margret Hamm. Zumal die zugrunde liegenden Gutachten in den frühen 60er-Jahren ausgerechnet von ehemaligen NS-Ärzten geschrieben worden seien.

Eine Arbeitsgemeinschaft soll das Anliegen weiter vorantreiben. Ferner geht es darum, die erfolgreiche Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit weiter zu führen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil heute wieder über Selektionen am Lebensanfang oder Lebensende diskutiert werde, sagt Margret Hamm.

Viele Opfer, nur wenig Entschädigungen

Hunderttausende Opfer: Rund 350.000 Menschen, so der BEZ, wurden in der Nazizeit zwangssterilisiert, etwa 280.000 im Rahmen der "Euthanasie"-Programme ab 1939 getötet. Dabei handelte es sich um Behinderte, Juden, Sinti und Roma, aber auch so genannte "Asoziale". Nach Zahlen des Vereins sind aber nur an 13.807 Personen Entschädigungen geflossen. Der BEZ vertrat ab 1987 Zwangssterilisierte, aber auch Kinder Ermordeter oder deren Enkel. Insgesamt schlossen sich dem Verein mehr als 1.000 Menschen an, zuletzt wurden noch 450 betreut. Der heutige Vereinsvorstand gehört nicht zu den Betroffenen. Marga Heß war 1987 erste hauptamtliche Mitarbeiterin des BEZ und übernahm später den Vereinsvorsitz. Margret Hamm wurde ihre Nachfolgerin in der Geschäftsstelle. Im Internet hat der Verein die Geschichte aufbereitet:

www.ag-bez.de

Bildunterschrift: Sie packen ein: Die Vorstandsmitglieder des BEZ Margret Hamm, Angelika Batzke und Marga Heß (von links) räumen Akten in Kartons. Die Opfergeschichten gehen in das Landesarchiv.

Kommentar / Die Aufarbeitung ist nicht beendet

Von Thorsten Engelhardt

"Keine Entschuldigung für Deutschlands eigene Nazi-Opfer" überschrieb die "Times" im Jahr 2008 einen Bericht über die Tötungs- und Zwangssterilisationsprogramme der Nazis und das Leiden der Überlebenden. Allein dieser Satz zeigt: die Nachkriegsgesellschaft hat sich immer schwer getan im Umgang mit dieser Gruppe der Opfer des NS-Rassenwahns. Die Verbrechen an ihnen, so urteilten Juristen spitzfindig, seien kein typisches NS-Unrecht. Aus Sicht der Betroffenen kann das nur absurd erscheinen. Erst seit zweieinhalb Jahren ist geklärt: Das 1933 beschlossene "Erbgesundheitsgesetz" verstößt gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik. Geholfen hat das den letzten Überlebenden aber nach Einschätzung des Bundes der "Euthanasie"-Opfer und Zwangssterilisierten (BEZ) rein materiell auch nicht. Mit der Auflösung des BEZ geht nun dieses Kapitel deutscher Geschichte ungeklärt zu Ende. Ein Trauerspiel.

Dabei bleiben wesentliche Fragen, die zeitlich nicht 1945 enden. Sie drehen sich auch um die Zeit danach, um Kontinuitäten im Tableau der handelnden Personen und im Denken. Wie weit wird es noch heute von technokratischen Mustern bestimmt, die davon ausgehen, dass der Mensch in alles eingreifen kann und darf? Es wäre auch eine späte Anerkennung der "Euthanasie"-Opfer und der Zwangssterilisierten, wenn bei den Diskussionen um solche Themen an ihre Geschichte gedacht würde.

TEngelhardt@lz-online.de


detmold@lz-online.de

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