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Lippische Landes-Zeitung , 09.04.2001 :

Zielort Vernichtungslager / Ermittlungen, aber keine Anklage gegen Karl Friedrich Titho – Beweislage "extrem ungenau"

Von Ulrich Pfaff

Horn-Bad Meinberg. Deportation, Folter, Erschießungen – nachdem Italien 1943 sein Bündnis mit dem Dritten Reich aufgekündigt hatte und die Nazis das Land besetzten, bekam die Zivilbevölkerung auch dort zu spüren, wie Deutschland mit seinen Feinden umzuspringen pflegte. Eines der Lager für Juden und politische Gegner war das Polizei-Durchgangslager Fossoli in der Provinz Modena. Nur wenige der früheren Insassen des Lagers leben heute noch. Ebenso der ehemalige Kommandant: Karl Friedrich Titho. Außer der Justiz interessiert sich auch wieder die Öffentlichkeit für den 90-jährigen.

Im April 1944 übernimmt Titho als SS-Untersturmführer die Leitung des Polizeidurchgangslagers, in dem bis 1943 alliierte Kriegsgefangene untergebracht worden waren. Nun werden hier Zivilisten festgehalten: Juden, Partisanen, Oppositionelle, die von der Sicherheitspolizei verhaftet wurden und auf ihr weiteres Schicksal warteten. Für viele von ihnen ist Fossoli eine Station auf dem Weg in die Konzentrationslager. Im Juli 1944 werden 67 Häftlinge erschossen – als Vergeltungsakt nach einem Partisanenüberfall auf Wehrmachtssoldaten in Genua. Als die Alliierten näher rücken, wird das Lager nach Bozen verlegt, wo Titho 1945 in alliierte Gefangenschaft gerät.

Tithos Tätigkeit als Lagerkommandant beschäftigte die deutsche Justiz bereits mehrfach. Ein Ermittlungsverfahren wurde von der „Zentralstelle im Land Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund“ 1971 eingestellt, weil Titho "eine strafbare Förderung der Tötung von Juden nicht nachzuweisen" war – er selbst gab damals zu Protokoll, nicht gewusst zu haben, dass die Deportierten in den KZ’s ermordet werden sollten. Auch an der Gefangenenerschießung wegen der Titho in italienischen Medien "der Henker von Fossoli" genannt wird, konnte ihm keine Beteiligung nachgewiesen werden. Ab 1996 wurde wieder ermittelt: Die Sache war erneut ans Tageslicht gekommen, als der frühere SS-Offizier Erich Priebke in Italien wegen eines Massakers in einem Aufsehen erregenden Prozess vor Gericht stand – der "Schrank der Schande", wie italienische Medien das in den 50-er Jahren aus politischen Gründen "vergessene" Archiv mit 700 Ermittlungsakten gegen Kriegsverbrecher nennen, wurde wieder geöffnet. Allerdings wurden auch diese Ermittlungen gegen Titho – sowohl in Deutschland (1999) als auch in Italien (Ende vergangenen Jahres) – wieder eingestellt.

Der Grund: Nach wie vor kann Titho eine Verantwortung weder für die Deportationen noch die Gefangenenerschießung klar nachgewiesen werden. "Die reine Tätigkeit als Lagerleiter reicht nicht aus", so Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß, Leiter der Dortmunder Zentralstelle, "wenn er etwas unterschrieben oder selbst angeordnet hätte, dann wäre er dran". Die Beweislage im gesamten Italienkomplex sei allerdings "extrem ungenau", einzelne Zeugenaussagen – wie etwa, die, die Titho beschuldigt, persönlich die Auswahl für die Deportationen getroffen zu haben – seien für eine Anklageerhebung unzureichend, so Maaß.

Karl Titho selbst, der seit 1953 nach der Entlassung aus niederländischer Haft wieder in seiner Heimatstadt Horn lebt, beschreibt seine Tätigkeit als Lagerkommandant als eine Art Gefängnisdirektor. Die große Masse der Gefangenen sei als Arbeitskräfte nach Deutschland geschickt worden, um ein früheres Versprechen Mussolinis an Hitler zu erfüllen. Sicher, Juden seien auch im Lager gewesen, "für die habe ich sogar koscheres Fleisch besorgt", sagt Titho im Gespräch mit der LZ – von Deportationen in die Konzentrationslager habe er gewusst, nicht aber, was mit den Menschen dort geschehe. Er habe auch keinen Einfluss auf die Zusammenstellung der Transporte gehabt: Die Listen seien beim Befehlshaber der Sicherheitskräfte (BdS) in Verona erstellt worden. "Da sind dann welche zu uns gekommen und haben gesagt: Wir machen einen Transport. Den Zielort bestimmt Berlin." Ähnlich mit der Erschießung: Es habe sich um eine nach der Haager Landkriegsordnung zulässige Maßnahme gehandelt, so Titho, "das sollte an Ort und Stelle (mit Zivilisten in Genua) gemacht werden, aber Harster war der Meinung, dass dafür nur Leute in Frage kämen, die sich schon wegen Vergehen gegen die Haager Landkriegsordnung strafbar gemacht hätten". Harster, das war der BdS, die genannten Vergehen waren zum Beispiel Waffenbesitz durch Zivilpersonen – genau 67 solcher "Fälle" seien in Fossoli inhaftiert gewesen, sagt Titho.

Die Ermittlungsergebnisse widerlegen Tithos Darstellungen nicht, auch wenn die Justiz seine vorgebliche Unkenntnis als "in hohem Maße unglaubhaft" bezeichnet. Aber auch an der Integrität der Dortmunder Zentralstelle selbst wird gezweifelt: Dort sollen in den 60-er und 70-er Jahren alte Nazis gesessen haben, die nur in wenigen Fällen Anklage erhoben hätten – eine Sache, die 1996 auch im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags debattiert wurde. Bei den Ermittlungen gegen Priebke zum Beispiel soll belastendes Material nicht ausgewertet worden sein, das Verfahren wurde eingestellt.

Die "Arbeitsgemeinschaft Fossoli" wird im Mai in Horn eine Veranstaltung organisieren, die sich mit Karl Friedrich Titho beschäftigt. "Wichtig für uns ist es, den Täter öffentlich mit seiner Verantwortung und die Gesellschaft mit seinen Taten zu konfrontieren", sagt AG-Mitarbeiter Diether Kuhlmann – Aufarbeitung sei das Ziel, so Kuhlmann, auch bei Titho selbst: "Eine öffentliche Entschuldigung bei den Opfern wäre ein erster Schritt."

Entschuldigen, ja das könne er sich vorstellen, meint Karl Friedrich Titho heute: "Wenn Lagerleitung Schuld ist, dann wäre das angebracht", aber nicht für Taten, die er nicht begangen habe. "Ich würde Frieden schließen, wenn es möglich ist. Im kleinen Kreis, nicht vor einem Tribunal."


Detmold@lz-online

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