www.hiergeblieben.de

WDR 2 , 02.05.2001 :

Karl Friedrich Titho – ehemaliger Lagerleiter von Fossoli

Silvia Bose

Anmoderation:

Karl Friedrich Titho lebt fast fünfzig Jahre im lippischen Horn – unbehelligt. Jetzt holt ihn seine Vergangenheit ein. Der ehemalige SS-Offizier leitete ab März 1944 das Polizeidurchgangslager Fossoli in Norditalien, später das Lager in Bozen-Gries. Dort wurden unter anderem Juden zusammengetrieben und in Vernichtungslager deportiert, Häftlinge misshandelt und erschossen. Angestoßen von der „Arbeitsgemeinschaft Fossoli“ diskutieren Bürger nun die Vergangenheit ihres Nachbarn – und den Umgang unserer Gesellschaft mit NS-Tätern. In Horn hat sich Silvia Bose umgehört.

Umfrage: "Kennen Sie einen Herrn Titho?"

Eine Frau: "Das ist mein früherer Arbeitskollege. So ist er eigentlich ein lieber, netter Mann gewesen."

Ein Mann: "Lassen ´se mich damit in Ruhe. Das ist ein alter Mann. Der hat genauso seine Pflicht getan wie jeder andere auch."

Ein Mann: "Wenn da jemand ist, der so eine hohe Verantwortung hatte, dann sollte er sie auch so lange behalten, bis er dafür gerade steht."

Moderation:

Geradestehen musste der ehemalige SS-Offizier Karl Friedrich Titho für seine Taten in Italien nicht. Fakt ist: Als Titho das Polizeidurchgangslager Fossoli leitete, wurden mehr als 3.000 Juden in Vernichtungslager wie Auschwitz oder Bergen-Belsen deportiert und 67 Gefangene erschossen. Deswegen ermittelte in den sechziger Jahren die Dortmunder "Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen" gegen Titho, stellte aber die Ermittlungen ein. Kein Einzelfall, weiß Dieter Zoremba von der "Arbeitsgemeinschaft Fossoli":

Dieter Zoremba, Arbeitsgemeinschaft Fossoli:

"Nach dem Nationalsozialismus in Deutschland hat man ein paar wenige Nazigrößen belangt. Man hat sich nicht mehr um Menschen gekümmert, die auf anderen Ebenen Täter waren. Insofern ist der Fall Titho sehr typisch."

Moderation:

Schuldig gesprochen wurde Titho in den Niederlanden, weil er an der Erschießung von Kriegsgefangenen beteiligt war und KZ-Häftlinge misshandelt hat. Zwei von sieben Jahren Gefängnis hat Titho verbüßt, 1953 wurde er nach Deutschland abgeschoben. Seitdem lebt er wieder in seiner Heimat Lippe – unbehelligt von Gerichten und auch von Fragen seiner Mitbürger. Deshalb fordert Dieter Zoremba ...

Dieter Zoremba, Arbeitsgemeinschaft Fossoli:

" … die Auseinandersetzung und das Anerkennen, dass es in der deutschen Gesellschaft eine ganze Reihe von Tätern gegeben hat, die unter ganz normalen Verhältnissen weitergelebt haben – und auch noch leben."

Moderation:

Das Engagement der Arbeitsgemeinschaft hat sich gelohnt. Am Freitag werden die Horner Bürger erstmals den Fall Titho und den gesellschaftlichen Umgang mit NS-Tätern öffentlich diskutieren. Und: Die Stadt Horn will eine Straße nach dem sechs Wochen alten, deportierten und ermordeten Mädchen Gina Labi benennen. Zudem erwägt die Verwaltung, einen Gedenkstein in Fossoli zu errichten.

Bürgermeister Eberhard Block:

"Um ein Signal zu setzen. Ein Signal für die Bevölkerung vor Ort, aber auch um der italienischen Bevölkerung zu zeigen: Wir stellen uns der Verantwortung, auch wenn wir keine Schuld tragen. Wir sind uns aber natürlich klar, dass wir im gewissen Maße damit zu tun haben, weil das nun einmal ein Bürger unserer Stadt ist."

Moderation:

Die Diskussionen sind auch an Karl Friedrich Titho nicht spurlos vorbei gegangen. Bisher hatte er immer betont, nur der Verwalter der Lager gewesen zu sein. Jetzt räumte er erstmals eine Mitschuld ein und bat in einer schriftlichen Erklärung Opfer und Angehörige um Verzeihung. Nach 56 Jahren – eine späte Reue.


redaktion@wdr.de

zurück