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Lippische Landes-Zeitung , 03.05.2001 :

"Titho ist kein Thema" / Interview mit dem italienischen Historiker Dr. Paolo Paoletti

Horn-Bad Meinberg. Die Diskussion um den früheren SS-Offizier Karl Friedrich Titho beschäftigt auch Italien, wo der heute 89-jährige während des Zweiten Weltkrieges ein Polizeidurchgangslager geleitet hatte. Mit dem Historiker Dr. Paolo Paoletti, der zu Recherchen nach Horn gereist war, sprach LZ-Redakteur Ulrich Pfaff über die italienische Sicht der Dinge.

Wie geht man in Italien mit dem Thema Titho um?

Dr. Paolo Paoletti: Titho ist überhaupt kein Thema im Moment. Das Thema ist Michael Seifert, ein früherer Wachmann in den von Titho geleiteten Lagern Fossoli und Bozen, der im vergangenen Jahr wegen mehrerer Morde in Italien verurteilt wurde. Der lebt in Kanada. Titho ist eher ein negativer Mythos: Nach 1945 haben alle gesagt, er war verantwortlich. Er ist in Italien immer der "Henker von Fossoli" gewesen.

Und die Öffentlichkeit beschäftigt sich wirklich nicht mit ihm?

Dr. Paoletti: 1996 haben italienische Journalisten herausgefunden, dass er in Horn lebt. Es gab eine Menge Zeitungsartikel, die seine Auslieferung forderten, aber das war nur die Meinung der Medien. Sicher, Titho wird in Büchern immer wieder belastet, zum Beispiel soll er verantwortlich gewesen sein für die Erschießung der 67 Inhaftierten, aber tatsächlich war das ein SS-Sturmscharführer namens Karl Müller. Es gibt Dokumente, die nachweisen, dass Titho nicht beteiligt war.

Um welche Dokumente handelt es sich dabei?

Dr. Paoletti: Englische Dokumente, Vernehmungsprotokolle und Auswertungen der "War Crimes Group" (Stelle zur Untersuchung von Kriegsverbrechen, Anm. d. Red.) unmittelbar nach Kriegsende, die auch Profile von verantwortlichen Offizieren erstellt hat. Diese Dokumente besagen, dass zum Beispiel für das Massaker Tithos Vorgesetzte beim Befehlshaber der Sicherheitskräfte in Verona – Harster und Kranebitter – verantwortlich sind. Die Briten haben Titho nicht verdächtigt, er war für sie ein kleiner Fisch.

Wie reagiert die Öffentlichkeit auf diese Dokumente?

Dr. Paoletti: Gar nicht. Der Bürgermeister von Carpi, der Gemeinde, zu der Fossoli gehört, sagte am 21. April: "Für uns bleibt er der Henker von Fossoli." So ist die Meinung der Lokalpolitiker. Die Wahrheit ist anders: Nach meinen Erkenntnissen war er gar nicht an den Erschießungen beteiligt. Diesen Schluss haben ja auch die Staatsanwälte gezogen und die Verfahren gegen Titho eingestellt.

Welche Rolle haben diese Dokumente dabei gespielt?

Dr. Paoletti: Eigentlich keine. Die deutsche und die italienische Justiz hat sie noch nicht gefunden, ihre Existenz ist diesen Behörden nicht bekannt. Ich habe sie bei meinen Recherchen in London gesichtet. Aber wenn die Ermittler daran interessiert wären, wäre es kein Problem, diese Dokumente auch zu bekommen.


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