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WebWecker Bielefeld , 08.10.2003 :

Abschieben gegen UNO

Von Mario A. Sarcletti

Am vergangenen Donnerstag demonstrierten vor allem Bielefelder in Minden gegen einen Polizeieinsatz rund um die versuchte Abschiebung einer Ashkali in den Kosovo. Die scheiterte letzlich daran, dass die UN-Verwaltung im Kosovo sich weigerte die Frau aufzunehmen.

Nur etwa dreißig Menschen fanden sich am 2. Oktober zu einer Demonstration in Minden, die meisten Demonstranten kamen aus Bielefeld. Der Grund für den Protest waren Vorfälle rund um die versuchte Abschiebung einer 61-jährigen Ashkali Ende August. Die Ashkali sind eine Romagruppe, Roma sind im Kosovo Verfolgungen durch die albanische Mehrheit ausgesetzt. Die fünfzehnfache Großmutter I. wurde am 27. August auf der Ausländerbehörde des Kreises Minden-Lübbecke festgenommen. Als ihre Angehörigen von der Festnahme erfuhren, begaben sich acht von ihnen zum Amtsgericht Minden. "Sie haben lautstark protestiert und darum gebeten mit ihrer Mutter sprechen zu dürfen", erzählt Elisabeth Reinhard vom Bielefelder Flüchtlingsrat. "Das hat zu einem brutalen Polizeieinsatz geführt", beschreibt sie die Folgen des Engagements für Frau I.

Die Angehörigen von Frau I. wurden von Polizeibeamten geschlagen, außerdem setzten die Beamten Pfefferspray ein. Anschließend wurden sie für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen, gegen sie läuft ein Verfahren wegen Gefangenenbefreiung, Landfriedensbruchs und Widerstandsgegen die Staatsgewalt. Frau I. wurde in das Frauenabschiebegefängnis Neuss gebracht.

"Die Vorwürfe gegen die Polizeibeamten werden mit Sicherheit die Staatsanwaltschaft und auch die Gerichte aufklären", erklärte Werner Wojahn, Pressesprecher der Mindener Polizei, gegenüber dem WebWecker. "Aus unserer Sicht sind wir rechtmäßig eingeschritten, wir haben Amtshilfe gegenüber dem Ausländeramt geleistet", fügt er hinzu. Die sachliche Richtigkeit könne man bei Amtshilfeersuchen nicht prüfen. Die Beamten des Ausländeramtes hätten sich bedroht gefühlt und über Notruf die Polizei gerufen. "Die Polizei hat versucht zu deeskalieren. Das stellte sich leider nur noch so dar, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt hat, sodass zum Schluss auch Pfefferspray eingesetzt wurde, um die Situation zu deeskalieren", beschreibt Werner Wojahn den Vorfall aus Sicht der Polizei.

Am Vorwurf der versuchten Gefangenenbefreiung hält er fest: "Nach Zeugenaussagen und nach Aussagen der beteiligten Beamten haben Personen versucht das Dienstfahrzeug zu öffnen, in dem sich die 61-Jährige befand. Das erweckte den Anschein, als wollten sie versuchen, die Frau aus diesem Fahrzeug herauszuholen und so dem amtlichen Zugriff zu entziehen", so Werner Wojahn.

Dem Zugriff der deutschen Ausländerbehörden entzogen hat Frau I. inzwischen die UNMIK. Die UN-Verwaltung für den Kosovo lehnte ihre Aufnahme ab, inzwischen wurde sie aus der Abschiebehaft entlassen. "Der UNMIK-Beamte hätte, wenn er das genauer gewusst hätte, sofort gesagt: "Die alleinstehende 61-jährige Frau nehmen wir nicht." Aber das ist ihm gar nicht mitgeteilt worden, dass die ganze Familie hier ist und die Frau dort niemanden hat", beschreibt Beate Niemeyer vom Bielefelder Flüchtlingsrat ihre Gespräche mit der UNMIK. "Als die UNMIK diese Information erhalten hat, haben die sehr schnell entschieden, dass sie die Frau nicht aufnehmen", erzählt die Bielefelder PDS-Ratsfrau. "Es hat sich gezeigt, dass der Protest ihrer Familie nicht nur aus menschlichen, sondern auch aus juristischen Gründen notwendig war", lobt ihre Kollegin Elisabeth Reinhard "den Mut" der Angehörigen.

Der Fall ist nicht der erste, in dem es zu Differenzen zwischen der UNMIK und ostwestfälischen Behörden gekommen ist. So sollte Ende August eine Familie aus Werther in den Kosovo abgeschoben werden, obwohl die UN-Behörde ihre Aufnahme ablehnte, da ihr "Heimatort" Mitrovica als unsicher eingestuft wird. Die fünfköpfige Familie, die seit neun Jahren in OWL lebt, darf vorerst hierbleiben.

Beate Niemeyer weiß, dass die beiden Abschiebeversuche keine Einzelfälle sind: "Die Abschiebepolitik gegenüber Minderheiten im Kosovo ist eine grausame Geschichte", so Niemeyer. Eintausend Personen pro Jahr sollen in den Kosovo zurückgehen, bis zu 33.000 können jährlich bei der UNMIK angemeldet werden. "Und da werden eben auch Menschen angemeldet wie eine 61-jährige allein stehende Frau, die im Kosovo einfach untergehen würde. Sie ist auch ein bisschen pflegebedürftig, ein bisschen zerstreut manchmal", beschreibt Beate Niemeyer die Situation von Frau I. "Jeder Mensch kann sich doch ausrechnen, dass so eine Frau in einem Krisengebiet nicht überleben kann." Der Sachbearbeiter des Ausländeramtes Minden-Lübbecke konnte das scheinbar nicht.


webwecker@aulbi.de

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