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Waldeckische Allgemeine , 10.12.1968 :

Mord-Prozeß wegen Erschießung von "Totengräber"-Häftlingen"

Vier ehemalige SS-Männer in Stuttgart vor Gericht

Stuttgart / Frankfurt / Berlin (dpa/upi). Vor dem Stuttgarter Schwurgericht hat am Montag der Mordprozeß gegen vier ehemalige SS-Männer und Angehörige des "Sonderkommandos 1005" begonnen.

Unter der Anklage, 1943 und 1944 in der Ukraine und im Gebiet um Riga Beihilfe zum Mord geleistet zu haben, stehen der 60jährige Lagerarbeiter und ehemalige SS-Sturmbannführer Hans Sohns aus Backnang, der 65jährige Auslandskorrespondent und ehemalige SS-Hauptsturmführer Fritz Zietlow aus Hamburg-Volksdorf, der 57jährige ehemalige SS-Hauptsturmführer Walter Ernst Helfsgott aus Düsseldorf, der bis zur Aufdeckung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit als Kriminaloberkommissar tätig war, und der 60 Jahre alte Herrenschneider und ehemalige SS-Sturmscharführer Fritz Kirstein aus Berlin.

Das Sonderkommando 1005, zu dem die Angeklagten gehörten, hatte die Aufgabe, die von den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in den Jahren 1941 bis 1943 aus rassischen oder politischen Gründen Erschossenen aus den Massengräbern auszugraben und zu verbrennen. Anschließend wurden die zu dieser Tätigkeit herangezogenen Arbeitshäftlinge ebenfalls erschossen und ihre Leichen verbrannt. Den vor dem Stuttgarter Schwurgericht Angeklagten wird eine Mitverantwortung für die Erschießung von Arbeitshäftlingen vorgeworfen.

Der Angeklagte Zietlow beklagte sich über die Verletzung der "Gleichheit aller vor Gesetz und Recht" durch die Verhandlung. Er erklärte in Anspielung auf den "Fall Rehse", einen Richter, der früher Todesurteile gefällt habe, begünstige man, weil man ihm nicht Grausamkeit oder Heimtücke unterstelle. Das tue man aber bei ihm, der nur Befehle ausgeführt habe.

Weiter Empörung über Rehse-Urteil

Der Freispruch des ehemaligen Beisitzers beim NS-Volksgerichtshof, Rehse, durch ein Westberliner Gericht sei ein "ausgesprochener Rechtssprechung-Skandal", erklärte gestern der Zentralrat der Juden in Deutschland.

Der Bundesvorstand der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft in Hamburg, der sich am Montag auch mit dem Urteil befaßte, meinte, ein Gericht, das in einem demokratischen Rechtsstaat amtiere, versäume seine demokratische Pflicht, wenn es einen Mann freispreche, der als Richter in einem Volksgerichtshof erwiesenermaßen an einer Fülle unmenschlicher Todesurteile mitgewirkt habe. - Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Revision eingelegt.


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