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Lippe aktuell , 11.01.2003 :

Jahresempfang des VBK 35 im Zeichen von "Enduring Freedom" / Ausschließlich humanitäre Aufgaben / Oberst Dierk Luneweit plädiert für allgemeine Wehrpficht

Augustdorf (wi). In diesen Tagen werden zum zweiten Mal nach dem Februar des Jahres 2002 Soldaten des Höxteraner ABC-Abwehrbataillons 7 nach Kuwait in den dortigen US-Stützpunkt Camp Doha verlegt. Was die Abwehrspezialisten im Wüstenstaat erwartet und welche Aufgaben sie dort zu erfüllen haben, darüber berichtete auf dem Neujahrsempfang des Verteidigungsbezirkskommandos 35 Oberstleutnant Andreas Bednarzyk, ehemaliger Kommandeur des Abwehrbataillons 7. Eines sei sicher versicherte, Bednarzyk im Gespräch mit dieser Zeitung: Die deutschen Soldaten würden sich keinesfalls an einem eventuellen Krieg gegen den Irak beteiligen. Das vom Bundestag den Truppen erteilte Mandat decke ausschließlich humanitäre Einsätze. So seien die Truppen zum Beispiel dann gefordert, wenn gegen einen Staat auf der arabischen Halbinsel ein terroristischer Anschlag verübt werde und der betroffene Staat sich mit der Bitte um Hilfe an die Bundesrepublik wende. Konkret könnten die 52 in Kuwait stationierten Soldaten, deren technisches Rückgrat sechs Fuchs-Spürpanzer sind, bei Anschlägen auf petrochemische Anlagen freigesetzte Radioaktivität und Chemikalien aufspüren und analysieren sowie die mit diesen Stoffen verseuchte (kontaminierte) Personen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten entseuchen (dekontaminieren).

Oberstleutnant Andreas Bednarzyk war von Februar bis Juli 2002 Kontigentführer der zu jener Zeit erstmals in Kuwait stationierten deutschen Soldaten. Im Juli wurden diese von Kameraden aus Bruchsal abgelöst, die in diesen Tagen wiederum durch Mannschaften aus Höxter ersetzt werden. Die deutschen Soldaten am Golf sind eingebunden in eine internationale ABC-Abwehrtruppe, zu der noch tschechische und amerikanische Soldaten gehören. Allesamt sind sie Streitkräfte im Rahmen der Operation "Enduring Freedom", die nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 zum Schutz vor weiteren Anschlägen dieser Art ins Leben gerufen wurde.

Gastgeber des Neujahrsempfanges in der GFM-Rommel-Kaserne war das Verteidigungsbezirkskommando 35 beziehungsweise dessen Kommandeur, Oberst Dierk Lenuweit. Lenuweit bilanzierte das Jahr 2002 als "ein schwieriges, einsatz- und reformintensives Jahr". Und zuletzt sei es für die Streitkräfte wegen des Hubschrauberabsturzes in Kabul kurz vor Weihnachten mit sieben tödlich verunglückten Soldaten auch noch ein unglückliches Jahr gewesen.

"Keine andere Gruppe in unserer Gesellschaft hat gegenwärtig eine solche Last wie die Bundeswehr zu tragen", meinte Oberst Lenuweit in seinem Grußwort an die zahlreichen Gäste aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Deutsche Streitkräfte stünden mittlerweile auf vier Kontinenten mit bis zu 10.000 Männern und Frauen im Einsatz. Die Soldaten trügen diese große Belastung, aber sie werde zu seinem Leidwesen in der Öffentlichkeit nur dann richtig wahrgenommen, wenn spektakuläre Ereignisse geschähen. Spektakulär sei auch der Einsatz der Streitkräfte bei der Hochwasserkatastrophe gewesen. 45.000 Soldaten seien im Einsatz gewesen; das in Augustdorf stationierte Panzerartilleriebataillon 215 habe nahezu 300 Soldaten für die Hochwasserhilfe eingesetzt. Oberst Dierk Lenuweit: "Wir alle sind stolz auf diese Leistungen, die wir für unser Land und unsere Bürger vollbringen konnten. Es muss aber allen klar sein, ohne Wehrpflichtige hätte eine solche gewaltige Hilfstruppe nicht aufgeboten werden können."

Ohne Wehrpflicht könne man ernsthaft keine Landesverteidigung organisieren und bevor die Verfassung nicht geändert werde, bleibe die Landesverteidigung der Hauptauftrag der Bundeswehr, auch wenn es starke Stimmen in der Politik gebe, dass Auslandseinsätze künftig die Hauptaufgabe der Bundeswehr sein sollte. Eine weitere Reform der Bundeswehr, die die Wehrpflicht beträfe, würde die Truppe verunsichern, so der VBK-Kommandeur: "Der Bundeswehr wurden im vergangenen Jahrzehnt mindestens drei große Reformen abverlangt und keine wurde richtig abgeschlossen, schon gar nicht die letzte. Die Soldaten werden hellhörig, wenn sie schon wieder von der Überprüfung der Wehrform vor Ablauf der Legislaturperiode, oder von einem Nachsteuern der Reform hören."

Jede neue Reform verursache neue Unruhe und Unsicherheit und bringe Umzüge und Belastung für die Familien und die laufenden Einsätze mit sich. Lenuweits Appell: "Wir sind keine Zinnsoldaten, wir sind Menschen und haben Familien. Lassen Sie uns diese Reform jetzt zu Ende bringen. Auch wir brauchen einmal eine Phase der Konsolidierung zur Auffrischung der Kräfte."

Was das neue Jahr bringen werde, wisse er nicht, sagte Oberst Lenuweit. Er habe den Eindruck, dass ein "annus horribilis" zu Ende gegangen sei, aber ob ein besseres Jahr folge? Möglicherweise sollten sich die Deutschen einen Scherz der Argentinier zu eigen machen, der da lautet: Es geht uns schlechter als gestern, aber besser als morgen. Wie auch immer, er sei sich sicher, dass es "weiter ein sehr gutes Zusammenwirken zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, zwischen Soldat und Bürger" geben werde, auch am Standort Augustdorf und in Ostwestfalen-Lippe. Und das sei gut so.


la.redaktion@lippe-aktuell.de

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