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Neue Westfälische / Bielefelder Tageblatt , 06.12.1986 :

1.500 Bürger demonstrierten gestern Abend: "Keine Nazi-Propaganda in unserer Stadt dulden"

Drei Verletzte vor dem Haus Bleichstraße 143

Bielefeld (aut). Gegen die verstärkten neonazistischen Aktivitäten und Gewalttaten in Bielefeld sowie das "neofaschistische Zentrum in der Bleichstraße" demonstrierten gestern Abend an die 1.500 Bielefelder. Vom Ostbahnhof aus zogen sie zum Haus Bleichstraße 143, in dem sich 30 der Neonazi-Szene zugerechneten Leute aufhielten, die nach Angaben der Veranstalter zum Teil von auswärts kamen. Vor dem Haus kam es zu Stein- und Farbbeutel-Würfen. Ein Demonstrant und zwei Polizisten wurden leicht verletzt.

Aufgerufen zu der Demonstration hatte die Bielefelder "Antifaschistische Koordination", die "Nachbarschaftsinitiative gegen ein neofaschistisches Zentrum in der Bleichstraße", mehrere andere Initiativen und Gruppen, Parteien wie SPD, Grün-Bunte Liste und DKP sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund.

Im Aufruf hebt die Nachbarschaftsinitiative hervor, die Bedrohung durch Hetzpropaganda und Gewalttaten der Neonazis habe in Bielefeld eine "neue Stufe" erreicht. "Die Terroristen, die sich in der `Nationalistischen Front` zusammengeschlossen haben, vertreten offen die nationalsozialistische Ideologie", heißt es weiter. Lasse man diesen Kräften weiterhin Raum, seien Gesundheit und Leben Bielefelder Bürger und Bürgerinnen nicht mehr sicher. Deshalb fordert die Initiative ein wirksames Vorgehen der Polizei gegen die Neonazis, die Auflösung des Zentrums in der Bleichstraße sowie das Verbot der "Nationalistischen Front", die als "Auffangbecken" der vom Verbot bedrohten "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) gilt und zu der die Nutzer des Hauses gerechnet werden. Mit einer Unterschriftenaktion soll der Bielefelder Rat zum Handeln bewegt werden.

Aus dem insgesamt friedlichen Demonstrationszug begann ein Kern von 50 Leuten vor dem abgesperrten und von Polizisten umstellten Haus Bleichstraße 143 mit Farbbeuteln, Steinen und Kanonenschlägen zu werfen. Die Bewohner provozierten anfangs, in dem sie mit Lautsprechern und Kameras ans Fenster traten. Die Polizei sperrte die Bleichstraße ab, so dass auch der Demonstrationszug gespalten wurde und eine beabsichtigte Kundgebung ausfiel. Bei Handgreiflichkeiten wurden zwei Polizisten verletzt. Ein Demonstrant verletzte sich am Auge.

200 der Demonstranten zogen anschließend vor das Polizeipräsidium am Kesselbrink und protestierten gegen die Hausdurchsuchungen und Festnahmen durch das BKA in Bielefeld (s. Seite Politik).

Mehrere hundert der Demonstrationsteilnehmer versammelten sich am Abend in der Ravensberger Spinnerei zur offiziellen Abschlussveranstaltung mit Esther Bejarano aus Hamburg, die Vorsitzende der "Sektion BRD des internationalen Auschwitz-Komitees" ist. Dort warnte Siglinde Rosenthal von der Nachbarschaftsinitiative davor, gerade in dem Wohngebiet im Osten mit hohem Ausländeranteil und vielen arbeitslosen Jugendlichen ohne Zukunftsperspektive, die Zielgruppe dieser Neonazis seien, ein Zentrum der seit Jahren in Ostwestfalen aktiven Neofaschisten zu dulden.


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