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Lippische Landes-Zeitung , 19.02.2005 :

Mit der rechten Hand am Herzen / Walter Spindler, ein General mit Blomberger Wurzeln, führte ein halbes Jahr lang die multinationale Brigade in Kabul

Blomberg-Maspe (sb). "Wer jahrelang im Schatten gelebt hat, darf nicht zu schnell ins grelle Licht geführt werden", sagt Walter Spindler. Der General mit Blomberger Wurzeln hat sechs Monate lang die Multinationale Brigade in Kabul geführt. Dabei konnte er nicht nur Ruhe und Sicherheit, sondern auch jede Menge Licht in den vielfach trüben afghanischen Alltag bringen. Jetzt besuchte er seine Mutter Anneliese in Maspe.

Der hochgewachsene Mann öffnet die Tür zum elterlichen Gutshaus und bittet den Gast mit einem sympathischen Lächeln hinein. Axel von Hagen, amtierender Präsident des Lionsclubs Blomberg, ist gekommen, um Spindler persönlich kennen zu lernen und mehr über dessen Erlebnisse am Hindukusch zu erfahren. Auch der Lionsclub hat, wie berichtet, mit rund 3200 Euro den Bau einer Schule im afghanischen Gusfanddarah finanziert. General Spindler hat für dieses Engagement eine besondere Überraschung parat: Er überreicht von Hagen, stellvertretend für die Lions, eine Commanders-Münze, auf der das Land Afghanistan neben einer Lilie, einem Tiger und dem Zeichen der internationalen Schutztruppe ISAF eingraviert ist. Nur 150 solcher Münzen hat Spindler prägen lassen. Verliehen werden sie für besondere Verdienste während des Einsatzes.

Dann beginnt der 50-Jährige zu erzählen. Die Erinnerung ist noch frisch. Knapp drei Wochen ist es her, dass der vierfache Vater in Deutschland landete.
Er berichtet von seinen langen Arbeitstagen in Kabul, die regelmäßig 16 bis 20 Stunden umfassten, von dem sozialen Engagement der Soldaten vor Ort, von hochrangigen Gesprächspartnern, aber auch von gemeinsamen Patrouillen an der Basis, mit seinen Soldaten durch die Dörfer.

Rund 3.800 Soldaten aus 28 Nationen - darunter 1.000 aus Spindlers deutsch-französischen Brigade in Müllheim - umfasste die Truppe, die von Juli bis Januar unter dem Befehl des deutschen Generals stand. Es war seit Beginn des Einsatzes im Jahr 2001 das sechste Kontingent. Spindlers Nachfolger stammt aus der Türkei.

Die Präsidentschaftswahlen und die spätere Amtseinführung Hamid Karzais prägten die Mission. Doch die Taliban, die angekündigt hatten, die Wahlen im Oktober zu stören, blieben vergleichsweise ruhig - zumindest für Spindlers Begriffe.

"Wir haben viele Angriffe verhindert"
General Walter Spindler

Die Auflistung lässt den Außenstehenden dennoch erschaudern: 35 Raketenangriffe, 18 Zugriffe mit Festnahmen vermeintlicher Terroristen bis zur Wahl, fünf in der Woche davor - Zwischenfälle waren an der Tagesordnung. Spindler wiegelt ab: "Wir haben aber vor allem viele Angriffe verhindert." Und im übrigen seien keine Soldaten durch Beschuss ums Leben gekommen. Vier Todesopfer gab es dennoch - bei einem Verkehrsunfall auf den schlechten Straßen.

Die Soldaten setzten auf Deeskalation, begegneten den Einheimischen mit Respekt und versuchten, auf deren Gepflogenheiten Rücksicht zu nehmen: Zum Gruß wird die rechte Hand zum Herz geführt, der Gebrauch der linken Hand ist verpönt, im Gespräch guckt man den Mann, nicht die Frau an. Wenn es die Gefahrenlage zuließ, zeigten sich die Soldaten auf Spindlers Befehl ohne Stahlhelm. Schließlich lautete der Auftrag Friedenssicherung, nicht Krieg. Wachsamkeit war dennoch die oberste Devise. Wie schafft man das trotz der permanenten Arbeitsbelastung? Spindler schmunzelt: "Adrenalin."

Neben dem Aufbau der Schule in Gusfanddarah hat Spindler mit Spenden aus seiner Heimatstadt Müllheim und dem privaten Umfeld auch eine Mädchenschule in Butkhàk und ein Waisenhaus erweitern können. Zudem hat er in Kabul Seminare zum Thema Gesundheitsvorsorge für Frauen geleitet. Eine Initiative, die für Erstaunen sorgte: Soldaten bilden Frauen weiter? Für Spindler eine logische Konsequenz aus der Demographie: "Wenn man bedenkt, dass 52 Prozent der Bevölkerung weiblich und 50 Prozent der Menschen unter 16 sind, dann wird deutlich, welchen Einfluss die Frauen künftig haben werden."

Die Stärkung ihrer Rechte ist ein Punkt auf dem Weg eines seit mehr als 25 Jahren vom Krieg gebeutelten Landes in eine bessere Zukunft. Die Sanierung der maroden Bewässerungssysteme und die Eindämmung des Drogenhandels aus Spindlers Sicht nur zwei weitere. Vor allem sei in Afghanistan aber eine Wertediskussion nötig, habe er im Abschlussgespräch mit Präsident Karzai betont.

Inzwischen konzentriert sich Spindler im heimischen Müllheim wieder auf die Arbeit als Brigadegeneral. Für seine Verdienste wurde er mit der NATO-Einsatzmedaille und der Bundeswehr-Einsatzmedaille ausgezeichnet. Das Kapitel Afghanistan ist damit für den 50-Jährigen beendet. Und auf dem Weg seiner Soldaten zur Schnellen Eingreiftruppe der NATO steht mit der Zertifizierung schon die nächste Herausforderung an.

19./20.02.2005
blomberg@lz-online.de

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