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Neue Westfälische , 02.04.2005 :

Weiße Fahnen an der Langen Straße / In Enger und Spenge war der Zweite Weltkrieg am 3. April 1945 zu Ende

Von Norbert Sahrhage

Enger/Spenge. Am 2. April 1945 hatten Teile der 5. US-Panzerdivision den Pass zwischen Werther und Halle ohne Gegenwehr genommen und über Werther und Jöllenbeck das Gebiet des Landkreises Herford erreicht. Mit Ausnahme der Städte Herford und Vlotho wurde das Kreisgebiet im Verlauf des 3. April von den Amerikanern besetzt.

Die heimische Bevölkerung war kriegsmüde. Die Menschen in den Ämtern Enger und Spenge hatten den Krieg zwar weitgehend unbeschadet überstanden, in den letzten Kriegsjahren war aber auch die Region mehrfach Ziel von Bombenangriffen gewesen, die auch einige Todesopfer gefordert hatten.

In den letzten Kriegsmonaten waren immer häufiger englische Tiefflieger aufgetaucht, die auch Zivilpersonen auf den Feldern oder Straßen angriffen und damit unter der Bevölkerung große Angst verbreiteten. Am 16. Februar 1945 kamen bei einem Tieffliegerangriff auf einen Personenzug der Bielefelder Kreisbahn auf der Strecke Enger - Ringsthof - Pödinghausen 22 Fahrgäste ums Leben, viele weitere Menschen wurden verletzt.

Die eigentliche "Eroberung" der Ämter Enger und Spenge vollzog sich wenig spektakulär. Die Truppen der deutschen Wehrmacht hatten sich bereits abgesetzt, als die amerikanischen Panzerverbände vom Westen her in das Gebiet des Landkreises eindrangen.

An der Grenze zwischen Lenzinghausen und Häger bestanden keine Panzersperren. Auf der Wertherstraße gingen den Panzertruppen mehrere Menschen mit weißen Fahnen entgegen. Als eine Abordnung der Amerikaner zum Spenger Amtshaus abbog, hingen an den Häusern der Langen Straße weiße Fahnen.

Ortsgruppenleiter Asbrock lehnte die Verantwortung für die Volkssturmauflösung ab

Zuvor hatten Wilhelm Seippel und Walter Frommholz die Auflösung des Spenger Volkssturms erreicht, indem sie den apathisch wirkenden kommissarischen Ortsgruppenleiter Walter Asbrock aufgefordert hatten, die Volkssturmmänner nach Hause zu schicken. Asbrock hatte dem Ansinnen nach einigem Zögern zugestimmt, aber jegliche Verantwortung für diese Entscheidung abgelehnt.

Ein Zeitzeuge, der als junger Mann zum Volkssturm eingezogen worden war, berichtet über den letzten Appell des Volkssturms: "Volkssturmführer Frommholz hat uns erklärt: 'Asbrock hat Leibschmerzen gekriegt und jetzt machen wir den Laden dicht.’"

In der Chronik der Schule Westerenger II wird über den weiteren Vormarsch der amerikanischen Truppen am 3. April 1945 von Lenzinghausen nach Enger berichtet: "Wenige Tage zuvor waren die spärlichen Reste deutscher Einheiten und Angehörige der Organisation Todt fliehend zu den Weserbergen geeilt. Ein einzelner deutscher Panzer kam mit seiner Besatzung bis zu dem Dreieck, das von der Straße, die das Bruch durchzieht, gebildet wird.

Ein Motorschaden konnte nicht ausgebessert werden. So zog die Besatzung ostwärts ab und ließ den Panzer stehen. Die feindliche Vorhut auf der Straße Lenzinghausen - Enger sichtete in der Nähe von Vorwerk-Möller aus den Panzer. Etwa 12 Schüsse eines Feindpanzers wurden abgefeuert, bis sich die Truppe davon überzeugt hatte, dass nur ein Kriegswrack dort unten im Bruche zurückgeblieben war. Das waren die einzigen Schüsse, die in unserer näheren Heimat von der feindlichen Truppe gefeuert wurden."

Auch die Stadt Enger wurde von amerikanischen Panzertruppen kampflos besetzt

Auch die Stadt Enger wurde von amerikanischen Panzertruppen kampflos besetzt. Auf Veranlassung des Volkssturmführers Jürging und gegen die Bedenken des NSDAP-Ortsgruppenleiters Schwabedissen waren die bereits errichteten Panzersperren geöffnet und der Volkssturm aufgelöst worden.

Im Vorfeld dieser Entscheidung hatte es heftige Auseinandersetzungen mit Ortsgruppenleiter Schwabedissen gegeben, der sich wegen dieser Entscheidung beim Herforder Kreisleiter rückversichern wollte. Jürging und andere hatten das verhindert, indem sie darauf hingewiesen hatten, dass die Partei keine Befehlsgewalt mehr habe, da der Volkssturm der Wehrmacht unterstehe. Über diese Besprechung wurde ein Protokoll angefertigt, um Jürging abzusichern. Als offene Stadt durfte Enger nun nach internationalem Recht nicht beschossen werden.

In den letzten Stunden vor der Besetzung hatte es in den Geschäften Ausverkäufe gegeben, da die Kaufleute befürchteten, dass die einrückenden Amerikaner die vorhandenen Waren beschlagnahmen würden. Die amerikanischen Truppen schlossen auch in Enger das Rathaus und die Post und setzten dann ihren Vormarsch fort.

Eine der ersten Amtshandlungen der amerikanischen Stadtkommandanten im Landkreis Herford war die Verhängung einer Ausgangssperre, die es der Bevölkerung zunächst nur für wenige Stunden täglich gestattete, sich außerhalb ihrer Wohnungen aufzuhalten. Militärpatrouillen kontrollierten die Einhaltung dieser Ausgangsbeschränkungen, die allerdings in den nächsten Tagen und Wochen sukzessive abgeschwächt und schließlich ganz aufgehoben wurden.

Es wurde eine unbewaffnete deutsche Sicherheitspolizei aufgestellt

Zunächst war auch die Benutzung von Fahrrädern und Autos untersagt, um die Mobilität der deutschen Bevölkerung einzuschränken. Die Bevölkerung wurde zudem aufgefordert, Waffen und Munition abzugeben.

Die Amerikaner genehmigten die Aufstellung einer unbewaffneten deutschen Sicherheitspolizei, deren Mitglieder durch weiße Armbinden gekennzeichnet wurden. Die Sicherheitspolizei sollte u.a. mithelfen, den willkürlichen Requirierungen durch ehemalige Zwangsarbeiter entgegenzuwirken. Ernährung und Unterbringung vieler Zwangsarbeiter waren mangelhaft gewesen, so dass sie nach ihrer Befreiung durch die alliierten Truppen versuchten, ihre Situation zu verbessern. Zum Teil übten sie auch Rache für zuvor erduldete Schikanen.

Das alliierte Besatzungsrecht setzte alle bestehenden kommunalen Verfassungsgesetze außer Kraft. Mit den hauptamtlichen Bürgermeistern wurde nach Kriegsende unterschiedlich verfahren. Amtsbürgermeister Wilhelm Frentrup (Spenge) konnte - trotz einiger Schwierigkeiten - in seinem Amt verbleiben.

Engers Amtsbürgermeister Ernst Brune blieb nach Kriegsende einfach verschollen

Der Bürgermeister des Amtes Enger, Ernst Brune, wäre wegen seines frühen Eintritts in die NSDAP (01.11.1932) zweifellos entlassen worden, er blieb jedoch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschollen. Als Nachfolger Brunes als Amtsbürgermeister setzten die Amerikaner den früheren Volkssturmführer Gustav Jürging ein, der sich in den letzten Kriegstagen sehr umsichtig verhalten hatte.

Sehr rasch nach dem Einmarsch bestellte die Besatzungsmacht auch neue Gemeindebürgermeister. Hierbei handelte es sich um Personen, die politisch unbelastet waren und Gewähr für einen erfolgreichen demokratischen Neuaufbau boten. Die ersten Kommunalwahlen fanden dann im September bzw. Oktober 1946 statt.

02./03.04.2005
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