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Gütersloher Volkszeitung / Die Glocke , 10.05.2005 :

Ein Abend mit David Bennent und Christoph Poppen / "Wege durch das Land" - und die Erinnerung

Von Doris Pieper

Herzebrock-Clarholz(gl). Theatralisch-düstere Wolkenbilder am Himmel, Krähen, die um den Kirchturm kreisen und Dornenranken, die die Skulptur des Hl. Nepomuk im Innenhof umwuchern, all das formt sich zum stimmungsvollen Rahmen für einen melancholisch-literarischen, expressiv-musikalischen Abend der Sonderklasse. Die "Wege durch das Land" haben viele Besucher von nah und fern in die gotische Kirche St. Christina geführt. Dort zelebrieren im Rahmen des ostwestfälischen Literatur- und Musikfestivals der Schauspieler David Bennent und der Violinist Christoph Poppen ihre Art von "Erinnerungskultur".

Drei Stunden jenseits des Alltags, Minuten des Atemanhaltens, Sekunden der Stille. Dass sie gerade am 8. Mai, dem überall mit Pathos begangenen Gedenktag zum Ende des Zweiten Weltkriegs, bewusst leise Töne wählten, spricht für das ungewöhnliche Duo. Der "kleine" David Bennent, dessen Rolle als Oskar in der "Blechtrommel" bei jeder Nennung des renommierten Mime immer gleich mitgedacht wird, und der "große" Christoph Poppen, Dirigent, Kammermusiker und Pädagoge von Weltrang. Mit seiner seltsam heiseren Stimme beginnt Bennent die Geschichte des jüdischen Jungen "Austerlitz" vorzulesen. Der 1944 im Allgäu geborene, mehrfach ausgezeichnete und bei einem Autounfall 2001 viel zu früh ums Leben gekommene Schrifsteller W. G. Sebald wird in und mit seinem gleichnamigen Roman zum Erzähler einer beispielhaften Lebens- und Leidensgeschichte. Sein Jacques Austerlitz steht für das Trauma, ein Ausgrenzter zu sein, ein Entwurzelter ohne Geschichte und daher ohne Zukunft. Erst eine Reise nach Prag lässt ihn ahnen, "was es heißt am leben zu sein". Sehr zurückhaltend, so hatte David Bennent im Vorfeld erklärt, wollte er diesen Text lesen. Und das tat er auch, immer wieder kämpfend mit den sich verästelnden Detailbeschreibungen Sebalds. Wer die ausgefeilte Gestik und Mimik eines großartigen Schauspielers erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Die Hände hielt Bennent unter dem Tisch, das Gesicht blieb das eines ungeschminkten Pierrots. In sich gekehrt, bis aufs Äußerste konzentriert, trat Christoph Poppen auf.

Seine exzellente Auswahl der Musikstücke spiegelte die Gemütszustände des Jacques Austerlitz eindringlich wider. Da war zunächst Paul Hindemiths Sonate für Violine mit ihren gebrochenen Variationen auf Mozarts "Komm lieber Mai und mache", gefolgt von einer subtil gespielten "musikalischen Personalie" Hans Werner Henzes: "Für Manfred". Mit dem "Lamento" des armenischen Komponisten Tigran Mansurian entführte Poppen in ein faszinierendes, weil extrem filigran komponiertes Netzwerk weit schwingender Melodien und dunkel-rhythmischer Begleitformen. Und in Johann Sebastian Bachs wunderbaren Partita in d-Moll offenbarte er selbstversunken und hingebungsvoll seine Virtuosität. Ein musikalisches Manifest für die Hoffnung und Versöhnung.


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