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Lippische Rundschau , 30.01.1981 :

"Große Bestürzung"

Zum LR-Leitartikel vom 22.01. "Die Rattenfänger haben versagt" von Carl-Wilhelm-Busse:

Nur mit großer Bestürzung konnte man die Erklärung von lippischen Lehrern zur Kenntnis nehmen, die die Öffentlichkeit erreichte. In dieser Erklärung wurde die polizeiliche Räumung der Klingenbergfabrik als Gewaltakt dargestellt, gegen die Kriminalisierung der Besetzer protestiert sowie Straffreitheit und Verzicht auf alle Regressforderungen verlangt. Gleichzeitig glaubten die Damen und Herren Lehrer, dass ihre Aufgabe, die Jugend zu selbstbestimmtem politischen Handeln zu ermutigen, nunmehr erschwert sei. Nach dieser Erklärung kann man sich nicht mehr wundern, dass ein kleiner Teil unserer Jugend die Regeln der Demokratie nicht versteht und einen Hang zu Gewaltakten angenommen hat.

Gerade ein Lehrer sollte wissen, dass im Rahmen einer demokratischen Staatsverfassung die Entscheidung der Mehrheit von der Minderheit zu respektieren ist. Wenn die gewählten Vertreter des Rates der Stadt Detmold nach langer und eingehender Beratung den Verkauf und den Abbruch der Klingenberg-Fabrik gebilligt haben, so verdient dieser Beschluss auch die Beachtung durch die Personen, die eine andere Entscheidung gewünscht haben. Wenn dann eine kleine Gruppe junger Menschen die Fabrik besetzt, weil sie den Abbruch verhindern will, so liegt zumindest die strafbare Handlung des Hausfriedensbruchs vor, die mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden kann. Deutlicher kann eine kriminelle Handlung nicht gegeben sein. Die Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustandes kann nur durch eine polizeiliche Aktion erfolgen, weil es die gesetzliche Aufgabe der Polizei ist, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Der rechtsbewusste Bürger ist dem Regierungspräsidenten und dem Oberkreisdirektor dankbar, dass nach vielen Räumungsaufforderungen und geduldigem Warten endlich dem Recht Geltung verschafft worden ist. Was würden die Damen und Herren Besetzer bzw. Erzieher wohl gesagt haben, wenn ihre eigeneWohnung besetzt wäre, weil eine Gruppe Andersdenkender der Meinung war, die Wohnung sei zu groß und eigne sich besser als Kommunikationszentrum?

Bislang gilt in der Bundesrepublik Deutschland immer noch der Grundsatz, dass das Eigentum gewährleistet ist und deshalb den Schutz des Staates und seiner Organe verdient. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Armbanduhr oder eine leerstehende Fabrik handelt. Wer eine derartige Fabrik besetzt, ist ein Rechtsbrecher und kann diesen Gewaltakt nicht mit gesellschaftspolitischen Phrasen rechtfertigen. Die zuständigen Organe unseres Staates werden allerdings tatsächlich prüfen müssen, ob auch die Besetzer bestraft werden können, die ihre Erziehung von den Unterzeichnern der "Öffentlichen Erklärung" erhalten haben. Hier könnte das Unrechtsbewusstsein fehlen.

Man kann nur hoffen, dass die Damen und Herren Lehrer ihre Erklärung noch einmal in Ruhe überdenken und sich von ihr distanzieren. Falls dies nicht geschieht, wird der Dienstherr prüfen müssen, ob diese Erzieher noch die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland einzutreten.

H.G. Kirchhof, Detmold, Paulinenstraße 44


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