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Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. , 12.10.2000 :

Der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft betr. das "Verfahren zur Ermittlung der Umstände, die zum Tod von Rachid Sbaai am 30.08.1999 in der JVA Büren führten", liegt vor.

Viele Punkte lassen sich nicht mehr klären. Der Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V." sieht sich deshalb veranlasst, Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft zu erheben.

Könnte Rachid Sbaai noch leben, wenn die Bediensteten auf die verschiedenen Alarmsignale reagiert hätten? Dieses ist sicherlich eine der zentralen Fragen, welche die Staatsanwaltschaft Paderborn zu klären hatte. Fakt ist, dass sich in jeder Arrestzelle in der JVA Büren ein Alarmknopf befindet. Dieser Knopf ist die einzige Verbindungsmöglichkeit im Notfall. Nachdem Rachid Sbaai am 30.08.1099 in einer Arrestzelle die Matratze in Brand gesetzt hatte, wurden mindestens zwei dieser Knöpfe (ein Alarmknopf in der Zelle von Rachid Sbaai und ein Alarmknopf in einer belegten Nachbarzelle) betätigt. Das Büro, in dem die Signale zusammenlaufen, war zu diesem Zeitpunkt nicht besetzt. Es gibt auch keine Dienstanweisung, nach der dieses Büro immer besetzt sein muss! Hier liegt ein eindeutiges Organisationsverschulden der JVA Büren vor.

Rachid Sbaai befand sich bereits fast sechs Monate in Abschiebehaft, als es am 27.08.1999 bei einem Fußballspiel in der JVA Büren zu einem Foulspiel kam. Die vier Beteiligten wurden am 30.08.1999 zu einer Arreststrafe von sieben Tagen verurteilt. Rachid Sbaai verbüßte seine Strafe in den Kellerräumen des Hauses 3 in einer Isolationszelle. Sein Freund R. wurde zwei Zellen weiter arrestiert.

Bevor Rachid Sbaai den Arrest antreten konnte, musste er sich vor den Augen der Beamten total entkleiden. Er erhielt eine spezielle Arrestbekleidung. Beim Umziehen muss es Rachid Sbaai (nach Ansicht der Staatsanwaltschaft) geglückt sein, ein Feuerzeug in die Zelle zu schmuggeln. Rachid Sbaai steckte dann aus Verzweifelung die Matratze der Arrestzelle in Brand. Es kam zu einer starken Rauchentwicklung. Die Verbrennungen an seinem Körper lassen laut Obduktionsbericht darauf schließen, dass er noch versucht hat, die Flammen unter Kontrolle zu bringen. Der Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V." geht davon aus, dass Rachid Sbaai Alarm ausgelöst hat. Fakt ist nämlich, dass der Knopf betätigt war, als die Polizei eintraf. Die ermittelnden Beamten hielten es jedoch nicht für nötig, Fingerabdrücke zu nehmen. Im nachhinein wurde darüber hinaus von der JVA Büren der Knopf entfernt und erneuert. Die Gefängnisleitung vertritt die These, dass das Alarmsignal in

Rachids Zelle nicht durch ihn, sondern durch Rauch und Löschwasser ausgelöst wurde. Der Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V." hält dies für sehr unwahrscheinlich, zumal nur geringe Wassermengen bei den Löscharbeiten zum Einsatz kamen.

Zwei Zellen neben Rachid Sbaai war ein weiterer Häftling arrestiert. Dieser wurde durch eindringenden Rauch in seiner Zelle geweckt. Er hörte Rachid Sbaai auf Arabisch schreien: "Rette mich, rette mich". Er betätigte sofort den Alarmknopf. Dann musste er erleben, wie nach ca. 10 Minuten die Schreie von Rachid Sbaai verstummten. Erst dann hörte er die ersten Schritte. Nach weiteren ca. 10 Minuten öffneten die Bediensteten seine Zelle und verlegten ihn sofort auf eine andere Abteilung. Ihm wurde zu diesem Zeitpunkt mitgeteilt, dass die Heizung defekt gewesen sei. Der Zeuge R. sagte dieses gegenüber dem moslemischen Geistliche Abu-Ammounah einige Tage nach dem Brand aus. Er wiederholte diese Aussage bei der Staatsanwaltschaft. Die JVA Büren legte einen (ominösen) handschriftlichen Vermerk vor, nach dem der Zeuge R. seine ursprüngliche Aussage abgeändert hat. Dieses wird jedoch von R. bestritten. Leider schenkte die Staatsanwaltschaft diesem Vermerk sehr grosse Beachtung und stufte den Zeugen als nicht glaubwürdig ein. Unbestritten ist, auch im Bericht der Staatsanwaltschaft, dass R. seinen Alarmknopf gedrückt hat. Die Staatsanwaltschaft sieht allerdings keinen Ermittlungsbedarf, zu welchem Zeitpunkt R. den Knopf drückte bzw. wer das Signal später wieder zurückgesetzte.

Der Zeuge R. sowie ein weiterer Zeuge, mit dem sich Rachid Sbaai zum letzten Mal in seiner Muttersprache unterhalten hatte, wurden erst vernommen, als der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. auf sie aufmerksam machte. Die Staatsanwaltschaft machte es nicht stutzig, dass die JVA Büren den Zeugen R. von sich aus nicht erwähnte. Sie verließ sich in weiten Teilen auf die Ermittlungsergebnisse der JVA. Dieses Vorgehen hält der Verein für ausgesprochen fragwürdig, insbesondere weil sich die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft auch gegen die JVA richteten. Fehler unterliefen aber auch der Polizei bei den Ermittlungen am Todestag. So wurde vergessen, Fingerabdrücke zu nehmen, der Ort, wo die Polizei die Leiche gefunden haben will, ist aus den Akten nicht eindeutig ersichtlich. Auch der Fundort des Feuerzeuges lässt sich nicht klären. Mitgefangene, die behaupteten, Rachid Sbaai hätte kein Feuerzeug besessen, wurden nicht vernommen. Der Rechtsanwalt der Familie Sbaai stellte bis zu 12 gravierende Punkte zusammen, bei denen nicht ordentlich ermittelt wurde. Trotzdem wurde das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt.

Sichtbare Konsequenzen gibt es bisher in der JVA nicht. Noch immer werden Gefangene für

Bagatellen arrestiert. Noch immer kann es bis zu 30 Minuten dauern, bis die Bediensteten auf die Auslösung eines Alarmknopfes reagieren. Einen Grund, die Vorgehensweise bei der Arrestierung zu überdenken, sieht man nicht. Lediglich Brandmelder wurden von der JVA Büren beantragt.

Nun ist das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingestellt. Ein weiterer Aktendeckel wurde geschlossen. Ein weiterer Schritt, um den Namen Rachid Sbaai zu vergessen. Wir vom Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ haben jetzt die Aufgabe, die Familie Sbaai über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu unterrichten. Uns wird es schwer fallen, ihr zu erklären, wieso die Behörden nicht ordentlich gearbeitet haben bzw. viele Fragen unbeantwortet bleiben. Bis auf einen Brief des Anstaltsleiters, Herrn Peter Möller, der erst auf Drängen des Nachlassverwalters von Rachid Sbaai verfasst wurde, gibt es kein öffentliches Schreiben an die Familie. Der Kontakt wurde nicht gesucht.

Rachid Sbaai ist das 37 Opfer der Abschiebemaschinerie der BRD seit der faktischen Abschaffung des Asylrechtes. Seine Geschichte macht deutlich, wie inhuman Abschiebehaft ist. Wir appellieren daher an die Verantwortlichen, den Paragrafen 57 des Ausländergesetzes, der die Abschiebung regelt, ersatzlos zu streichen.

Weitere Informationen über Abschiebehaft und ältere Offene Briefe sowie Pressemitteilungen zum Tod von Rachid Sbaai erhalten Sie unter www.hfmia.de.


gockel@gegenabschiebehaft.de

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