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Lippische Landes-Zeitung , 11.09.2003 :

Der Damm gegen Gewalt / Das Interview mit Friedenspreisträger Laurien Ntezimana über Kategorien von Mut

Von Stefan Derschum

Detmold. Ruhe, Besonnenheit, sogar Sanftmut. Das sind Eindrücke, die während einer Begegnung mit Laurien Ntezimana zunächst dominieren. Doch bei einem Blick auf sein Leben und Wirken wird in der Charakterisierung des ruandischen Laientheologen und Friedensarbeiters eine andere Erkenntnis überdeutlich: Dieser 47-jährige Mann ist mutig. Inmitten eines unbeschreiblichen Szenarios menschlicher Grausamkeit hat er 1994 für den Schutz der vom Völkermord bedrohten Tutsi gekämpft und sich stets für die Aussöhnung von Tätern und Opfern eingesetzt. So war er im Dezember 1996 auch Mitinitiator des "Detmolder Bekenntnisses" - eines Kreises von Hutu und Tutsi, in dem sich die Teilnehmer gegenseitig um Vergebung baten.

Laurien Ntezimana - selbst der ruandischen Bevölkerungsgruppe der Hutu angehörend - ist ein mutiger Mann. Um das zu erkennen, bedarf es nicht erst eines "Theodor-Haecker-Preises für politischen Mut und Aufrichtigkeit", den der Friedenspreisträger von "Pax Christi International" in diesem Jahr von der Stadt Esslingen verliehen bekommen hat. Am Dienstagabend war Laurien Ntezimana in Detmold, um im Gemeindehaus der ev.-ref. Kirchengemeinde Hiddesen über seine Arbeit, das "Detmolder Bekenntnis" und die aktuelle Situation in Runanda zu berichten. Mit der LZ sprach er am Rande seines Besuches über Kategorien von Gewalt und Mut.

LZ: Zwei Männer bedrohen gemeinsam einen dritten Mann. Sie werden Zeuge des Konfliktes. Greifen Sie ein?

Laurien Ntezimana: Natürlich. Ich würde zuerst versuchen, die Gewalt zu verhindern, um dann nach den Hintergründen der Auseinandersetzung zu fragen. Ich müsste es einfach tun, denn wenn jemandem Gewalt angetan wird, ist es so, als ob mir Gewalt angetan würde.

LZ: Können Sie Ihre Motivation näher erklären?

Ntezimana: Das Motiv meines Handelns ist die Erkenntnis, dass wir alle eins sind. Ich erkenne mich sowohl in dem Angreifer wie in dem Angegriffenen und will dabei, dass Aggression kein menschliches Merkmal wird. Zwei Gegner haben vergessen, wer sie eigentlich sind. Meine Aufgabe ist, es ihnen zu sagen - dass sie Menschen sind. Das muss meine Botschaft sein.

LZ: Würden Sie dieses Handeln mutig nennen?

Ntezimana: Ich reflektiere in einer solchen Situation nicht über Mut. Für mich geht die Tat aus dem Inneren heraus. Ein Dritter kann das vielleicht beurteilen. Nehmen wir das Beispiel Esslingen. Ich habe versucht, Menschen am Töten zu hindern, und andere versteckt, damit sie nicht getötet werden. Weil ich in dieser Situation nicht aus Ruanda geflohen bin, gibt es Leute, die sagen, ich sei mutig. Wie in Esslingen.

LZ: Gibt es Menschen in der Weltgeschichte, die Sie als mutig bezeichnen?

Ntezimana: Ich könnte jetzt Ghandi oder Martin Luther King nennen. Aber das ist nicht relevant. Sondern entscheidend ist der Glaube an Jesus Christus. Ich versuche mich in meiner Zeit so zu verhalten, wie sich Jesus Christus in seiner Zeit verhalten hat. Die entscheidenden Sätze für mich stehen in Matthäus 5 geschrieben: "Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel ... " Das ist es - dass man seinen Standpunkt behält, aber nicht widerstrebt.

LZ: Sie haben in Ruanda großen Mut bewiesen. Kann sich derartiger Mut nur in einer gesellschaftlichen Extremsituation profilieren?

Ntezimana: Dann wären ja nur die Ruander mutig. Nein. Die Welle der Gewalt geht um die ganze Welt, und es braucht überall Dämme, sie aufzuhalten. Auch in der westlichen Welt gibt es natürlich Gewalt. Dort helfen jedoch Institutionen und demokratische Mechanismen, sie einzuschränken.

LZ: Was ist Mut in einer Gesellschaft wie der Deutschlands, in der sich viele Konflikte weniger ums Überleben als viel mehr um den Wohlstand drehen?

Ntezimana: Es wäre mutig, zu sagen, dass Besitz allein nicht zählt, dass das Sein vor dem Haben kommt. Ein bekannter Franzose hat einmal gesagt, dass der Mensch für die Arbeit gemacht sei, die Arbeit für den Profit und der Profit für die Statistik. Also wird der Mensch sterben und nichts von seinem Leben gehabt haben. Derjenige, der fordert, nur die halbe Zeit zu arbeiten, um so mehr Zeit für andere Menschen zu haben, würde sicherlich als verrückt bezeichnet werden. Und das ist ein gutes Zeichen von Mut.

LZ: In der Politik wird häufig der Mut zu unbequemen Entscheidungen und Reformen zitiert. Doch diese verwässern im politischen Kalkül und durch den Druck der Lobbyisten bis zum Nichts. Was empfehlen Sie den Politikern?

Ntezimana: Trotz der Gefahr, nicht wiedergewählt zu werden, den Mut aufzubringen, alle Völker an einen Tisch zu bringen und zu versuchen, für die globalen Probleme Lösungen zu erarbeiten. Eine Nation allein ist hilflos. Im Grunde sind wir historisch an einem Punkt angelangt, wo uns meine Überzeugung, dass wir alle eins sind, aufgezwungen wird.


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