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Neue Westfälische , 10.11.1992 :

Weizäcker will weiter auf der Straße gegen Gewalt demonstrieren / In Bielefeld bisher größte Kundgebung gegen Rassismus

Bielefeld/Berlin. Nach der größten Demonstration der Nachkriegsgeschichte gegen Ausländerfeindlichkeit in Berlin haben gestern weit mehr als 100.000 Menschen der Reichspogrome gedacht. Die größte Kundgebung fand in Bielefeld statt, wo 20.000 Menschen gegen Fremdenhass auf die Straße gingen. Nie zuvor beteiligten sich im Bundesgebiet so viele an Gedenkveranstaltungen zum 9. November 1938.

In München, Freiburg, Dresden und Düsseldorf nahmen über oder um 10.000, in Wuppertal rund 6.000 und in Trier 5.000 Menschen an Schweigemärschen teil. Daneben gab es überall in Deutschland zahlreiche kleinere Veranstaltungen. Auf Transparenten war zu lesen "Deutsche! Ich schäme mich" und "1938 - 1992 nix gelernt".

In Bielefeld forderte Oberbürgermeister Eberhard David (CDU) die Bürger auf, den Ausländern mit Toleranz und Verständnis zu begegnen und weniger mit Vorbehalten oder Hass. Es gelte die Fremden vor Übergriffen zu schützen. Die Sprecherin des NRW-Flüchtlingsrates, Britta Jünemann, erklärte auf dem Rathausplatz: "Wer schweigt, wird mitschuldig. Es sind auch jene Mitläufer, die laut oder leise Beifall klatschen, wenn die Steine fliegen und wenn es heißt: Grenzen zu, Flüchtlinge raus."

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, forderte im Zusammenhang mit dem wachsenden Rechtsradikalismus und den Angriffen gegen Ausländer mehr Härte gegen Gewalttäter. Strafe sollte auch Abschreckung sein, sagte Bubis in Bremen.

In Berlin wurde gestern der Grundstein für das künftige "Jüdische Museum" gelegt. Der 9. November, so Berlins Regierender BürgermeisterEberhard Diepgen (CDU) sei ein "Tag schwierigen Erinnerns". Dem November-Pogrom sei die systematische Ermordung der Juden Europas gefolgt, eine "Schmach und Schande für das Bild von Deutschland". Berlin werde auch des Gedenkens am 9. November an den Fall der Mauer nicht froh, "wenn wir die Nachtseiten unserer Geschichte verdrängen".

Unterdessen hat Weizäcker die Bundesbürger aufgerufen, unbeirrt für Toleranz und Menschenwürde einzutreten. Er sagte in Bonn, er werde auch weiterhin auf der Straße gegen Gewalt eintreten. "Und wenn ein Ei auf meinen Mantel fällt, dann werde ich ihn ausziehen und weitermachen. Das tun auch die meisten Bürgerinnen und Bürger bei uns im Lande."


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