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Lichtblick , 24.09.2003 :

Wider die Ausgrenzung - Für die Anerkennung / Der Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V.

Die Geschichte der Zwangssterilisierten und "Euthanasie"-Geschädigten ist in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland wenig bekannt. Sie gehören zu den "vergessenen" und ausgegrenzten Opfern. Bis 1945 wurden etwa 400.000 Menschen unterschiedlichen Alters nach dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" sterilisiert. Es war für die Betroffenen verboten, eine weiterführende Schule zu besuchen und einen nicht sterilisierten Menschen zu heiraten. Im Verlauf der "Euthanasie"-Aktionen des NS-Systems wurden etwa 300.000 kranke und/oder behinderte Menschen ermordet. Viele Menschen wissen bis heute nicht, wo ihre Angehörigen ums Leben gekommen sind.

Der Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V. wurde erst Ende der achtziger Jahre gegründet. Es gab schon zu Beginn der 50er Jahre den Versuch, dass Opfer von Zwangssterilisationen und die Angehörigen der "Euthanasie"-Opfer sich zusammenschlossen. Der Versuch scheiterte damals. Die Wunden, die Scham und die Stigmatisierung durch die Gesellschaft trugen zum Scheitern bei.

Erst 1987 überwanden die Gründerinnen und Gründer unseres Bundes ihre Isolation und Scham und schlossen sich bundesweit zusammen. Wir leisten seitdem bei den Opfergruppen betreuende Hilfe, kämpfen um Entschädigungsverbesserungen und verfolgen ausschließlich gemeinnützige Zwecke und sind selbstlos tätig.

In der Vertretung unseres Bundes nach Außen haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die rassehygienischen Maßnahmen und Bestimmungen, die sich in der Erbgesundheitspolitik des Nationalsozialismus widerspiegeln, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Die Bundesregierung hat das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" nur geächtet. Sie spricht den Betroffenen und ihren Angehörigen "Achtung und Mitgefühl" aus. Annulliert wurde das Gesetz aber bis heute nicht. Lediglich die Urteile der Erbgesundheitsgerichte wurden durch das NS-Aufhebungsgesetz 1998 aufgehoben.

Im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) sind Zwangssterilisierte und "Euthanasie"-Geschädigte, die Angehörige durch den Mord an Kranken und Behinderten verloren haben, so gut wie nicht berücksichtigt worden. Seit 1980 können Zwangssterilisierte, seit 1990 auch "Euthanasie"-Geschädigte, eine Ausgleichszahlung beantragen. Kaum jemand erhielt aber eine Entschädigung, da das Familieneinkommen zugrunde gelegt wurde und in aller Regel der Entschädigungsantrag an der "Notlagengrenze" scheiterte. Erst am 27.09.2002 ist diese Hürde gefallen. Seit 1990 können Zwangssterilisierte auf Antrag eine monatliche Beihilfe erhalten.

Nach einer Statistik des Bundesfinanzministeriums von 2000 haben rund 16.000 zwangssterilisierte Menschen und etwa 150 "Euthanasie"-Geschädigte eine einmalige Ausgleichszahlung erhalten - eine beschämend geringe Zahl derjenigen, die einen Antrag gestellt haben bzw. eine Ausgleichszahlung bewilligt bekommen haben. Dieses ungleiche Verhältnis spiegelt aber auch die "Entschädigungsgeschichte" der Bundesrepublik Deutschland wider. Den Zwangssterilisierten und "Euthanasie"-Geschädigten ist bis zum heutigen Tage der Verfolgten-Status verwehrt geblieben, der ihnen eine Entschädigung nach dem BEG ermöglicht hätte. Es sind auch die vom Gesetzgeber verlangten Prozeduren, die Zwangssterilisierte davon abgehalten haben, einen Antrag auf Entschädigung zu stellen. Erst seit 1998 müssen sie bei Antragsstellung kein fachärztliches Gutachten mehr beibringen. Wir wissen aus einigen Berichten unserer Mitglieder, dass sie bei diesen Begutachtungen den gleichen Ärzten gegenüberstanden, die im NS-Staat aus rassehygienischen Gründen die Zwangssterilisationen befürwortet hatten.

Die Entschädigung für Zwangssterilisierte und "Euthanasie"-Geschädigte verlief in der ehemaligen DDR ähnlich negativ wie in der Bundesrepublik. Bis zur so genannten Wende erhielten diese Opfergruppen keine Entschädigungsleistungen. Nach 1990 hatte unser Bund mehr als tausend Mitglieder. Und für einige hundert Opfer der neuen Bundesländer konnten wir jetzt Anträge stellen.

Die Versuche unseres Bundes, auf die oftmals auch heute noch sozial ausgegrenzten und isolierten Menschen in den Medien aufmerksam zu machen, scheitern oft. Wenn wir beispielsweise zu den für die Opfergruppe der Zwangssterilisierten und "Euthanasie"-Geschädigten betreffenden Themen eine Presseerklärung herausgeben, finden wir in den seltensten Fällen in den Redaktionen Gehör. Nur dann, wenn nach Auffassung der Journalisten etwas "Sensationelles" zu berichten ist, können wir eventuell mit einer Veröffentlichung rechnen. Für die soziale Lage dieser Opfergruppen, ihre Traumatisierungen, die physische und die psychische Verfasstheit der Menschen interessiert sich kaum ein Journalist, aber auch kein Politiker. Dieses Desinteresse bzw. die gesellschaftliche/politische Ignoranz im Umgang mit dem Anliegen und der Opfer, sowie gegenüber unseres Kampfes um bessere Entschädigungsleistungen, ist nach unserer Auffassung auch auf politischer Ebene gewollt.

Bei diesem ungleichen Kampf wird uns häufig der Eindruck vermittelt, dass die Regierenden auf die "biologische Lösung" setzen. Wer heute vom "Altenberg" spricht und am Abbau des Sozialstaates bastelt, dem sind auch die Zwangssterilisierten und "Euthanasie"-Geschädigten eine Last.

Weitere Informationen:

Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V.
Schorenstraße 12
D-32756 Detmold


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