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Lippische Landes-Zeitung , 09.05.1992 :

Ali Tan wollte seine Mutter selbst versorgen und verzichtete bewusst auf einen Asylantrag, aber: Abschiebung einer hilflosen alten Frau

Von Heinz-Joachim Gärtner

Bad Salzuflen. Der Kurde Ali Tan (37) versteht die Welt nicht mehr. Da wollte er aus eigenen Mitteln seine 66-jährige herzkranke Mutter zu Hause versorgen, bezahlte aus eigener Kraft Unterkunft, Verpflegung, Krankenhauskosten, verzichtete bewusst darauf, für sie einen Asylantrag zu stellen - und musste trotzdem ihre Abschiebung in die Türkei erleben.

Ali Tan, im Alter von 25 Jahren als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen und als Asylant anerkannt, ist verzweifelt. Seine Mutter irrt jetzt mutterseelenallein irgendwo in Ankara oder Istanbul herum, beherrscht nicht die türkische Sprache, weiß nicht, an wen sie sich wenden soll. Und wer die gespannte Lage zwischen den Volksgruppen kennt, kann sich ausmalen, wie groß die Hilfsbereitschaft türkischer Behörden sein wird. Ali Tan hat keinen Ansatzpunkt, wo er nach seiner Mutter suchen könnte, ganz abgesehen davon, dass er auf türkischem Boden wahrscheinlich sofort verhaftet würde. Sagt er.

Seine Mutter Zeycan Tan (56) hatte eine auf drei Monate befristete Aufenthaltserlaubnis. Die war abgelaufen. Und während Ali Tan seiner Arbeit nachging, kamen Beamte von der Detmolder Ausländerbehörde und nahmen Zeycan Tan mit, um sie ins Flugzeug Richtung Heimat zu setzen. Ob sie nun in Ankara oder Istanbul gelandet ist, rund 1500 Kilometer Distanz trennen die alte Frau von zu Haus. Aber selbst dort wartet niemand auf sie, da ihr Mann vor vier Jahren gestorben ist; Kinder und Verwandte sind in alle Himmelsrichtungen verstreut.

All Tan lebt mit Frau und vier Monate altem Sohn in einer 3-Zimmer-Wohnung, seine Mutter hätte er ohne Probleme die paar Wochen oder Monate bis zu ihrem bevorstehenden Lebensende bei sich versorgen können. Dem Staat, der Gemeinde, den Sozialbehörden wären dabei keinerlei Kosten entstanden. Nun stirbt sie alleingelassen wahrscheinlich irgendwo in der Gosse.

Auf Asylantrag bewusst verzichtet

Dass sich die Beamten der Ausländerbehörde juristisch einwandfrei verhalten haben und nur ihre Vorschriften befolgten, nimmt Ati Tan gerne an, weil er an den deutschen Rechtstaat glaubt. Aber, so fragt er sich, warum konnten die ihm nicht Bescheid sagen, so dass er sich wenigstens von seiner Mutter hätte zum letzten Mal verabschieden können? Warum durfte er sie nicht zum Flutzeug begleiten?

Im Gespräch mit der LZ weiß Ali Tan auf eine kritische Vorhaltung jedoch keine Antwort: Obwohl er als politischer Flüchtling seit nunmehr 12 Jahren in Deutschland lebt, sind seine deutschen Sprachkenntnisse so bescheiden, dass er immer noch einen Dolmetscher braucht. Unter diesen Bedingungen, so scheint es, ist es auch im Rechtsstaat schwierig, das zu bekommen, was man für recht und billig hält. Aber ist die Strafe dafür nicht zu drakonisch?


Salzuflen@lz-online.de

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