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Lippische Landes-Zeitung , 12.10.1996 :

Der Kommentar / Schlechte Parolen

Von Manuela Morath-Holdt

Die Schulpflegschaft des Grabbe-Gymnasiums hat sich mit einem Schreiben an Bürgermeister Friedrich Brakemeier und andere Politiker kräftig in die Nesseln gesetzt. Die Unterzeichner betonen zwar, "dass wir in keiner Weise Ressentiments gegen diese Personengruppe", gemeint sind Flüchtlinge, haben. Die geplante Unterbringung von Asylbewerbern im leerstehenden ehemaligen Grabbe-Internat lasse jedoch befürchten, "dass Konflikte vorprogrammiert sind". Ins gleiche Horn stösst auch CDU-Ratsherr Johannes Heumann, der als Lehrer am Grabbe-Gymnasium selbst zu den "Betroffenen" gehört.

Was für eine grausame Vorstellung, wenn unsere Kinder und Jugendlichen in unserer heilen Welt tatsächlich einmal mitbekommen müssten, wie es in einer Flüchtlingsunterkunft zugeht. Wie schlimm, wenn sie mit eigenen Augen sehen, welche Katastrophen Kriege und Unrechtsregime auslösen. Wenn sie in Gesprächen erfahren, dass die wenigsten Menschen ihre Heimat nicht aus "Geldgier", sondern aus nackter Angst verlassen haben.

Warum kann eine Schule, noch dazu ein Gymnasium, so eine Situation nicht als Chance begreifen? Als Gelegenheit, mit der Stadt, den Kirchen und anderen Mitstreitern ein Modellprojekt auf die Beine zu stellen. Warum befürchtet man stattdessen einen "erneuten Einbruch bei den Anmeldezahlen, wenn Eltern künftiger Schüler durch die Presse von diesem Vorhaben erfahren"? Warum schlägt die Schulpflegschaft vor, die Flüchtlinge in Ghettos auf dem Fliegerhorst, in der "Postteichsiedlung", in der "Frischen Quelle" oder anderswo unterzubringen? Warum muss die Situation denn einen Imageverlust darstellen, wenn Schüler das Wichtigste überhaupt lernen können: Friedliches Miteinander und Toleranz. Genau das ist der Auftrag von Schulen und nicht die Verbreitung von Stammtischparolen.


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