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Lippische Landes-Zeitung , 06.02.1997 :

Ein Teil der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina hat ihre Ausreiseaufforderungen erhalten / Abschiebungen erst ab April zulässig

Kreis Lippe (da). Im Rahmen der bevorstehenden Rückführung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina in ihr Heimatland sind die Verantwortlichen bemüht, humanitäre Aspekte besonders zu berücksichtigen. Die mit diesem Verfahren befassten Behörden, der Kreis Lippe und die Stadt Detmold, haben deshalb mit Kirchen und in der Flüchtlingshilfe engagierten Personen einen Arbeitskreis gebildet, in dem das Vorgehen im einzelnen abgestimmt werden soll.

Inzwischen haben die ersten der kreisweit rund 730 registrierten Flüchtlinge nach vorheriger Anhörung Ausreiseaufforderungen erhalten, die ab April auch Abschiebungen rechtlich ermöglichen. Betroffen davon ist eine insgesamt gut 200-köpfige Gruppe, die sich nach Angaben des zuständigen Sachgebietsleiters beim Kreis, Wolfgang Herold, aus alleinstehenden Erwachsenen, Ehepaaren ohne minderjährige Kinder und Personen, deren Ehegatten und/oder Kinder in Bosnien-Herzegowina leben, zusammensetzt. Weiteres Kriterium: sie müssen vor 1995 nach Deutschland gekommen sein.

Wie es weiter hieß, haben 52 der insgesamt 156 vom Kreis Angeschriebenen - der Rest stammt aus Detmold - eine Stellungnahme im Anhörungsverfahren abgegeben. Darin führten sie unter anderem an, dass eine Rückkehr in ihre von Serben besetzte Heimat nicht möglich sei, ihr Haus beziehungsweise ihre Wohnung nicht mehr stehe oder sie ethnisch gemischten Familien angehörten. Diese Begründungen hätten allerdings nur selten den erwünschten Erfolg: der Kreis verzichte nur "in vier, fünf Fällen" auf eine Versendung der Ausreiseaufforderung.

Einwendungen, die mit den Verhältnissen in Bosnien-Herzegowina zu tun haben, können nach Ansicht des zuständigen Abteilungsleiters beim Kreis, Wigbert Gruß, in der Regel ohnehin nicht als Hinderungsgrund für eine Heimreise angesehen werden. Er verweist zur Begründung auf ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Bosnien-Herzegowina, in dem die dortige Regierung unter anderem garantiert, alle zurückkehrenden Menschen aufzunehmen und unterzubringen (siehe: "Das Stichwort").

Gruß geht im übrigen davon aus, dass mit Beginn des Frühjahrs die Heimkehr von den Flüchtlingen selbst verstärkt in Angriff genommen wird. So seien einige schon jetzt ausgereist, hätten andere bekundet, sie seien dabei, ihre Wohnungen zu renovieren. Auch die Tatsache, dass sich im Anhörungsverfahren nur ein Drittel geäußert habe und den Ausreiseverfügungen bisher nur zehn Prozent widersprochen hätten, gebe zu dieser Erwartung Anlass. Hinzu komme, dass Bund und Land finanzielle Hilfen gewährten, um die freiwillige Rückkehr zu erleichtern.

Für ebentuell später erforderlich werdende Abschiebungen ist die Zentrale Ausländerbehörde in Bielefeld zuständig. Zu welchem Zeitpunkt derartige Maßnahmen ergriffen werden, ist allerdings noch ungeklärt. Das hängt wesentlich von der Bearbeitungszeit in Bielefeld und von den Kpazitäten im Aufnahmeland ab. Eins müssen die Betreffenden allerdings auch wissen: wer erst einmal abgeschoben worden ist, wird es später sehr viel schwerer haben, nach Deutschland zurückzukehren.

Der Rest der Bosnien-Flüchtlinge, so die gegenwärtige Vorgabe, soll Deutschland spätestens zum 1. Juli verlassen haben. Ausgenommen sind davon mögliche Zeugen vor dem Internationalen Gerichtshof oder Schüler und Auszubildende, die in einem bestimmten Zeitraum einen qualifizierten Abschluss erreichen können.

Von "rigoroser Abschiebungspraxis", so ein Vorwurf der letzten Tage, könne also keine Rede sei, meint Gruß abschließend.

Das Stichwort: Rückführung

Die sogenannte Rückführung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina geschieht auf der Grundlage eines Regierungsabkommens. Danach hat jeder Staatsangehörige aus dem Balkanstaat das Recht, an seinen früheren Aufenthaltsort oder einen anderen von ihm gewünschten Platz in Bosnien und Herzegowina zurückzukehren.

Die Heimkehr soll möglichst freiwillig und in verschiedenen Phasen erfolgen, die die tatsächliche Entwicklung in dem Heimatland berücksichtigen. Zur Förderung der freiwilligen Rückreise werden Orientierungsreisen ermöglicht, wobei sich Bosnien-Herzegowina verpflichtet, allen Staatsangehörigen dafür Einreise und Freizügigkeit gemäß den Friedensvereinbarungen von Dayton zu gewährleisten. Die Bundesrepublik garantiert die spätere Wiedereinreise.

Der Aufenthalt der Flüchtlinge in Deutschland wird gegenwärtig geduldet. Bereits vor einem Jahr hatte die Innenministerkonferenz beschlossen, dass die Voraussetzungen für eine solche Duldung nach dem Friedensschluss von Dayton nicht mehr bestehen. Der ursprünglich für den 1. Juli 1996 vorgesehene Beginn der Rückführung wurde mehrfach verschoben und zuletzt auf den 1. Oktober 1996 festgesetzt. Das NRW-Innenministerium hat aber schließlich verfügt, die Rückführung erst ab dem April dieses Jahres in Angriff zu nehmen. In NRW halten sich rund 70.000 Flüchtlinge auf.


Detmold@lz-online.de

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