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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 30.10.1993 :

Jugendschöffengericht verurteilt 18-jähriges Mitglied der Jungen Union zu zwei Wochen Dauerarrest / Junge Israelis auf übelste Weise beleidigt

Bielefeld (joh). Eine schwere Belastung stellte für das gute Verhältnis zwischen Bielefeld und seiner israelischen Partnerstadt Nahariya ein Vorfall dar, der sich am Abend des 20. März gegen 23.30 Uhr vor einer Heeper Gaststätte abspielte. Dort stand eine Gruppe von etwa 20 16- bis 17-jährigen Schülern aus Nahariya, die am Tag zuvor im Rahmen eines Austauschprojektes mit dem Gymnasium Heepen in Bielefeld angekommen war.

Die jungen Israelis hatten mit ihren gleichaltrigen Gastgebern einige Stunden in jenem Lokal verbracht, waren dort bereits von anderen Gästen angepöbelt worden. Gemeinsam wartete man darauf, von Eltern und Lehrern abgeholt zu werden. In diesem Augenblick passierte der 18-jährige Hermann X. (Name geändert) die Gruppe. Er erhob den Arm zum "Hitlergruß" und beschimpfte die Schüler mit dem Wort "Judenschweine".

Dann stieg X. in einen Pkw, der von einer jungen Frau gelenkt wurde, und entfernte sich. Nur wenige Minuten später tauchte er erneut auf - dieselbe Handbewegung, dieselbe Beleidigung. Im Eingang der Gaststätte wiederholte X. den Faschistengruß noch einmal.

Vor dem Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Jürgen Hagmann hatte sich Hermann X. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen Beleidigung zu verantworten. Er behauptete, sich aufgrund des damals reichlich genossenen Alkohols nicht an den Vorfall erinnern zu können. Später habe er mit Freunden darüber gesprochen, die das Geschehen bestätigt hätten. Also müsse er es wohl getan haben.

Stiefel mit weißen Schnürsenkeln

Das Gericht hörte als Zeugen zwei Lehrer des Gymnasiums Heepen. Nach ihrer Beschreibung trug der Angeklagte seinerzeit Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, ein Zeichen, an dem sich Mitglieder der rechtsradikalen Szene erkennen. "Wir waren geschockt, denn wir hatten gerade vorher mit den Israelis über diese Dinge gesprochen", erinnerte sich der Oberstudienrat Horst H. (54).

Nach Überzeugung des Lehres hätte nicht viel gefehlt und die Gruppe wäre am nächsten Tag wieder abgereist. Beide Pädagogen betonten, dass es weder ihnen noch ihren Schülern bei der Anzeigeerstattung um Rache gegangen sei, sondern darum, bei Hermann X. Einsicht in das Verwerfliche seines Tuns zu wecken.

Der Angeklagte trat 1989 in die CDU beziehungsweise deren Jugendorganisation Junge Union ein. Dort wurde er schon nach einem Jahr in den Kreisvorstand gewählt, aus Zeitgründen gab er dieses Amt allerdings wieder auf. Hermann X. brach sowohl das Gymnasium als auch die Fachoberschule ab. Eine Lehrstelle wurde ihm vor kurzem gekündigt. "Er ist ein labiler Mensch, ohne Durchhaltevermögen, Energie und Lebensplanung", charakterisierte ihn der Vertreter der Jugendgerichtshilfe.

Staatsanwalt Reinhard Baumgart wies in seinem Plädoyer auf die politischen Auswirkungen des Falles hin: "Die durch den Schüleraustausch bezweckte Verständigungsarbeit wird dadurch in Frage gestellt."

Angeklagter muss sich Film ansehen

Das Gericht verurteilte Hermann X. zu zwei Wochen Dauerarrest und erteilte ihm folgende Weisungen: Er muss sich einen Film ansehen, den die Heeper Schüler vor einem Jahr anläßlich eines Besuches der Gedenkstätte im ehemaligen KZ Buchenwald drehten. Anschließend soll er mit den Lehrern darüber sprechen und sich in einem Aufsatz mit dem Thema beschäftigen. Außerdem muss er im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ) 48 Stunden unentgeltliche gemeinnützige Arbeit leisten.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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