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Lippische Landes-Zeitung , 22.12.2001 :

Die Externsteine unterm Hakenkreuz / Wie Wissenschaftler dem NS-System zuarbeiteten

Von Thorsten Engelhardt

Dörentrup/Horn-Bad Meinberg. Was waren die Externsteine und was wurde aus ihnen gemacht? Mit den europaweit bekannten Steintürmen und der Geschichte ihrer Forschung hat sich jetzt die Dörentruper Archäologin Dr. Uta Halle beschäftigt. In ihrer Habilitationsschrift beleuchtet sie besonders die großen Grabungen 1934/35 kritisch. Drei Erkenntnisse hat die Wissenschaftlerin, die am Mittwoch an der Humboldt-Universität zu Berlin habilitiert wurde, dabei herausgearbeitet: Es gibt keine Beweise dafür, dass die Steine eine germanische Kultstätte waren. Die Grabungsergebnisse wurden bewusst falsch interpretiert, und dabei handelte die Wissenschaft in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den NS-Machthabern.

Wie weit stand die Wissenschaft unter dem Druck der Nazis, wie weit diente sie sich an, um Prestige zu erreichen und lang gehegte Forschungswünsche zu erfüllen? Eine Kernfrage vieler Disziplinen, die sich mit ihrer NS-Vergangenheit auseinandersetzen. "Als ich 1993 mit der Forschungsarbeit zu dieser Schrift begonnen habe, hatte ich das Bild im Kopf, dass die Wissenschaftler unter politischem Druck standen, und dadurch die Fehldeutungen hervorgebracht wurden. Doch beim Aktenstudium zeigte sich, dieser Druck war nicht da. Breitwillig wurden Ideen entwickelt und an die Parteigrößen herangetragen", geht Uta Halle mit ihrer Disziplin ins Gericht.

Sie stützt sich dabei auf das Fallbeispiel der Externsteine, das im Detmolder Staatsarchiv gut dokumentiert ist. Der Detmolder Wilhelm Teudt, der von heutigen Wissenschaftlern als völkisch orientierter Laienforscher eingeordnet wird, vertrat Anfang der 30er Jahre die Theorie, die Externsteine seien ein germanisches Heiligtum gewesen, das von Karl dem Großen zerstört worden sei. Damit fand er Anklang beim Reichsführer der SS, Heinrich Himmler. Auf Teudts Theorien hin wurden 1934/35 große Ausgrabungen vorgenommen. Grabungsleiter war der Münsteraner Professor Julius Andree. Laut Halle hat Andree nach der ersten Grabungskampagne 1934 Teudts Theorie voll bestätigt. "Der Nachweis wurde aber nur schriftlich geführt, ohne Darstellung des Fundmaterials. Außerdem war die Befunddarstellung nur notdürftig", sagt die Wissenschaftlerin. 1935 habe es dann einen Umschwung gegeben. Nachdem Hitler Karl den Großen als Reichseiniger bezeichnet hatte, habe Andree seine Interpretation geändert. "Jetzt sollte an den Externsteinen ein fantasievoller, aber nicht bewiesener Totenkult stattgefunden haben, der große Ähnlichkeit mit den NS-Feiern zum Tag des Marsches auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923 hatte", sagt Uta Halle. Ihr Urteil: "Hier war mehr vorauseilender Gehorsam im Spiel, als zu erwarten war." Eine Erklärung für den Opportinismus hat sie nicht. Es spreche aber viel dafür, dass es den Wissenschaftlern nicht um die "reine Lehre" ging, sondern sie vor allem ihre Forschungen durchführen wollten. Im Vordergrund habe wohl der Wunsch gestanden, Werke zu schaffen, auf die die Kollegen noch Jahrzehnte lang zurückgreifen müssten.

"Nichts sächsisches, nichts fränkisches, nichts germanisches"
Dr. Uta Halle

Dabei sei kein starker politischer Druck auszumachen. Halles Beleg: Andrees Buch über die Grabungen, das er 1936 veröffentlicht, wird 1943 massiv von einem anderen Wissenschaftler kritisiert. "Dem ist nichts passiert", so Uta Halle. Und auch Andree selbst habe keinen Schaden davon getragen, obwohl er 1936 nach einem Publikationsverbot aus anderen Gründen an Himmler schrieb, er, Andree, habe vom Reichsführer SS keine Befehle entgegen zu nehmen.

Die Äußerungen ihrer eigenen Zunft nach 1945, die Archäologen hätten mit der SS zusammengearbeitet, um größeren Schaden von der Wissenschaft abzuwenden, nennt Halle eine Legendenbildung. "Es war nicht der durch die Pression geschürte Opportinismus, der die Wissenschaftler zu ihrer Verhaltensänderung zwang, es war die aktive Teilnahme der Wissenschaftler am politischen System." Diese Legendenbildung werde erst jetzt aufgearbeitet. Mit ihrer Habilitationsschrift will die Privat-Dozentin einen Startpunkt dazu geben. Und was haben die Grabungen nun tatsächlich ergeben? Uta Halle hat das Material neu bewertet. Ein vermeintlicher "Kultschacht" ist ihrer Meinung nach Teil einer Entsorgungsanlage des 17. Jahrhunderts. Alle Metall- und Keramikfunde deuten auf das Hoch- und Spätmittelalter (1000 bis 1400) sowie die Neuzeit (17. bis 19. Jahrhundert) hin. Darunter sind Hufeisen und Armbrustbolzen. "Das sind Indizien für Adel, eventuell hat es einen kleinen Adelssitz auf den Externsteinen gegeben. Aber es gibt nichts sächsisches, nichts fränkisches, nichts germanisches in den Funden. Es gibt keine Anzeichen für einen Opferplatz oder irgendwelche Aktivitäten in der Zeit Karl des Großen." Sehr wohl hätten sich aber Artefakte gefunden, die darauf schließen lassen, dass sich 9000 vor Christus Rentierjäger bei den Steinen aufgehalten hatten. "Das ist eine kleine Sensation für die Gegend."

Uta Halle wurde 1956 in Detmold geboren. Sie promovierte 1989 an der Universität Hamburg und war von 1993 bis 1996 Stipendiatin des Lise-Meitner-Programms, das Wissenschaftlerinnen eine Habilitation ermöglicht. Sieben Jahre schrieb und forschte sie für ihre Habilitationsschrift, die 600 Seiten umfasst und voraussichtlich 2002 als Buch veröffentlicht werden soll. Am Mittwoch hielt die Privat-Dozentin ihre Antrittsvorlesung an der Humbold-Universität zu Berlin.


Detmold@lz-online.de

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