Frank Gockel ,
10.05.2003 :
" ... Detmold heute schon mehr Menschen in Abschiebehaft steckt als andere Kommunen" / Redebeitrag auf der Kundgebung in Detmold: "Hier geblieben - Bleiberecht für Flüchtlinge!"
Um es gleich vorweg zu nehmen, ich bin schlecht vorbereitet mit meiner Rede. Ich musste sie mit sehr heißer Nadel stricken, die Zeit ist knapp geworden. Eigentlich wollte ich mir gestern den ganzen Vormittag dafür Zeit nehmen, doch es ist anders gekommen. Ein Bürger dieser Stadt hier hat mich angerufen, er war verzweifelt, wusste nicht mehr weiter. Die Ausländerbehörde dieser Stadt hat ihn verhaften lassen. Nicht etwa, weil er etwas verbrochen hat, weil er vielleicht gestohlen oder Steuerbetrug begangen hat, nein, er ist vollkommen unschuldig und dieses weiß auch die Ausländerbehörde dieser Stadt. Seine einzigste Straftat besteht darin, dass er hier existiert und nicht Deutscher ist. Dieses reicht schon um 18 Monate hinter Gittern, in die Abschiebehaft, eingesperrt zu werden. Unschuldig im Gefängnis, allein für 2.900 Gefangene im letzten Jahr in einem Abschiebegefängnis der BRD in Büren, bittere Realität.
Und geht es nach dem Willen der Oberen dieser Stadt sollen es noch mehr werden, ja, sollen es noch viel mehr werden. Grundsätzlich Abschiebehaft für jeden Bürger, den man loswerden will und für den man ein Flugticket bekommen kann, weil er den falschen, nämlich einen nichtdeutschen Pass hat. Staatlich verordneter Rassismus in seiner übelsten Form, als erstes in dieser Art in NRW geplant. Ich fordere die Mitarbeiter der Ausländerbehörden und die Verantwortlichen dieser Stadt auf, aus ihrem asozialen Verhalten den Bürgern gegenüber endlich die einzige Konsequenz zu ziehen, die noch möglich ist und zurückzutreten!
Ich weiß, dass die oben genannte Rücktrittsforderung utopisch ist. Ich weiß, dass Menschen, die sich so etwas überlegen, ihre Moral schon lange an den Haken gehängt haben. Ich weiß, dass die Stadt Detmold schon heute mehr Menschen in Abschiebehaft steckt als andere Kommunen. Ich weiß aber auch, und das ist für mich sehr wichtig, dass es hier Menschen gibt, die sich dagegen wehren. Ich weiß, dass ihr, die ihr hier vor mir steht, euch dies nicht mehr bieten lassen wollt, dass ihr euch wehren werdet, gegen jede Form von Rassismus, auch gegen den staatlich verordneten. Und dieses macht mir Mut, dieses werde ich am Dienstag mit in das Gefängnis nehmen, wenn ich den Bürger dieser Stadt wieder besuchen werde. Ich werde ihm erzählen, dass ihr euch die Praxis der Ausländerbehörde nicht mehr gefallen lassen wollt, dass ihr euch wehrt, dass es euch nicht egal ist, dass er unschuldig im Gefängnis ist. Ich hoffe, dass ich ihm damit ein wenig Kraft mit auf seinem schweren Weg geben kann.
Verzeiht mir bitte, dass nun ein Sprung in meiner Rede kommt. Wie gesagt, die rassistische Ausländerbehörde dieser Kommune hat mir einen Strich durch meinen Terminplan gemacht. Verzeiht mir bitte auch, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe.
Mein Name ist Frank Gockel, ich komme aus Paderborn und bin Mitglied im Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V." Unser Verein gründete sich im Jahr 1994, kurz nach der Eröffnung des größten Abschiebegefängnisses in Europa, im westfälischen Büren, von hier knapp eine Stunde mit dem Auto entfernt. Wir haben seit dieser Zeit viele Tausende von Menschen kennengelernt und sie auf ihrem Weg durch die Abschiebehaft begleitet. Wir vermittelten ihnen Kontakte zu Rechtsanwälten, stellten die Verbindung zur Familie und zu Freunden wieder her, erklärten das Beamtendeutsch der Schriftstücke, stellten für sie ein Sprachrohr zur Außenwelt dar und wir hörten ihnen vor allen Dingen einfach nur zu. Wir sahen, wie der Staat immer wieder gegen geltendes Recht verstieß, wir sahen, wie Kinder und Jugendliche eingesperrt wurden. Wir sahen wie Menschen innerlich durch die Haft und die ungewisse Zukunft kaputt gingen. Wir mussten erleben, wie Menschen, die wir kennen, nicht mehr weiter wussten und sich die Pulsadern öffneten, sich erhängten, vergifteten oder anzündeten. Wir erfuhren, dass Gefangene, die unsere Freunde geworden waren, spurlos nach der Abschiebung verschwanden oder getötet wurden. Und wir erleben dieses noch immer.
Aber was ist Abschiebehaft, wie sieht sie aus? Was soll für einige Bürger dieser Stadt der Regelfall sein?
Abschiebehaft bedeutet: 23 Stunden eingesperrt sein in einer Zelle mit bis zu fünf anderen fremden, ebenfalls verzweifelten Menschen, die häufig andere Sprachen sprechen. Wenn das Wetter gut ist und die personelle Situation im Knast es zulässt, dann können die Häftlinge für eine Stunde dem tristen Zelleneinerlei entfliehen und etwas Sport treiben. Viele Häftlinge haben selbst dazu keine Kraft mehr, ihre Verzweiflung raubt ihnen alle Energie.
Aber nicht, dass ihr glaubt, damit wäre der Gipfel bundesdeutscher Härte erreicht. Es gibt noch eine Steigerungsform: Der zwanghafte Zusammmenschluss verzweifelter Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur wirft Spannungen auf. Entladen diese sich zum Beispiel in handgreiflicher Form, werden Sanktionen verhängt. Diese Sanktionsform nennt man Arreststrafe. Arrest bedeutet Knast im Knast. Wegschluss von den Mitgefangenen, Wegschluss in den Keller, in den sogenannten Bunker. Wegschluss 24 Stunden, ohne Genehmigung zu lesen, zu rauchen, fernzusehen, ohne Gespräche oder ähnliches. Das völlige Durchdrehen ist eigentlich vorprogrammiert. Rachid Sbaai nahm sich in solch einer Zelle 1999 das Leben.
Wie fühlen sich Menschen, die so eingesperrt sind? Was denken sie? Um zu verdeutlichen, wie sich die Abschiebehäftlinge fühlen, möchte ich hier Zitate aus dem Tagebuch eines Menschen, der seine Erlebnisse und Empfindungen als unerwünschter Flüchtling und als Abschiebehäftling nach seiner Entlassung zu Papier gebracht hat, vorlesen:
"Ich fühle mich ängstlich, aber ich wusste um die Gefahren der Illegalität. Immer Angst, obwohl man lernen kann, mit diesem Problem zu leben. Dennoch ist das auf Dauer kein Leben gewesen.
Ankunft in Büren nachmittags mit dem Gefangenentransport. Auf der Fahrt nach Büren sitzen wir alle nebeneinander, keiner sagt ein Wort. Alle schauen traurig in eine andere Ecke.
Ich bin so hilflos, machtlos. Die Ungerechtigkeit dort macht mir zu schaffen. Was habe ich getan? Ich habe keine Straftat begangen, ich wollte nur leben.
Meistens sind vier Leute in einer Zelle. Wenn man Glück hat, ist die Toilette separat durch eine Tür abgetrennt. Aber nur, wenn man Glück hat. Einige können arbeiten. Man wird in einen anderen Raum gebracht, der überwacht ist. Außerdem hat man Beschäftigung, wenn auch nur stupide Arbeiten angeboten werden. Was soll''s, man kann etwas tun und muss nicht immer nachdenken.
Manchmal wird selbst gekocht. Es ist nur ein Herd vorhanden für 50 bis 60 Leute. Man kann selbst einkaufen, nur das ist sehr teuer.
Bis 20.00 Uhr kann man telefonieren. Aber nur, wenn sich nicht schon andere vor dir anstellen. Schließlich wollen alle ein wenig Kontakt zur Außenwelt, sonst bleibt nichts.
Nachtverschluss, bis morgens. Nachdenken, wie es weitergeht. Werde ich morgen abgeschoben? Was geschieht, wenn ich in meine Heimat komme, gibt es dann auch Probleme von Seiten der Behörden? Bei uns im Land gibt es noch die Folterstrafe. Die Gefangenen untereinander sind auch nicht gerade hilfreich. Es kursieren Gerüchte, was schon alles geschehen ist mit anderen Häftlingen. Kann man überhaupt jemanden trauen? Besser nicht.
Für alles, was man hier möchte und braucht, muss man Anträge stellen. Da wird man verrückt drüber. Was ist mit denen, die nicht schreiben können oder die deutsche Sprache nicht sprechen? Ich versuche, keine Fehler zu machen und nehme mich bei allem zurück. Starre stundenlang auf den Wald und sehe den Vögeln zu, die draußen ihre Runden drehen. Man hat hier keine Ruhe in der Zelle. Irgendeiner macht immer Lärm oder will etwas. Ich drehe mich einfach zur Seite und starre an die Wand. Mein Bett ist der einzige Platz, der für mich gedacht ist.
Man fühlt sich so leer. Man fühlt sich so wertlos und machtlos hinter diesen Mauern, die unüberwindlich zu sein scheinen, selbst für das Gefühl.
Ich habe mich beim Fußballspiel verletzt. Der Fußball ist mir ins Gesicht geflogen. Alles tut weh, ich kann nicht richtig sehen. Der Arzt der Anstalt hat sich mein Auge angesehen. Aber erst einen Tag später. Der Gefängnisarzt scheint nicht so interessiert zu sein.
Schmerzen im Gallenbereich. Der Arzt im Gefängnis hat mir Medikamente gegeben, aber nicht gesagt, wofür die sind, geschweige denn, eine Diagnose gestellt. Könnten Schlaftabletten gewesen sein, denn schlafen konnte ich danach, trotz Schmerzen. Hilfe, die bringen mich hier noch um. Ich bin krank und niemand nimmt mich ernst. Die Medikamente werden mir in die Hand gegeben, und ich muss sie nehmen, egal was. Fragen werden nicht beantwortet.
Wenn ich den Glauben nicht hätte, wüsste ich nicht weiter.
Morgens werde ich aus dem Bett geworfen, der Beamte sagt nur, zieh dich an. Dann in einen Raum. Sie sind im Gerichtssaal. Verlängerung für drei Monate. Nun ist wieder eine Welt zusammengebrochen. Manche müssen 18 Monate aushalten. Kein Wunder wenn man sich hier umbringen will, ich habe auch schon überlegt wie ...
Ich komme gerade aus dem Bunker. Ich zittere an Händen und Füßen. Ich bin eisig kalt. Woran liegt das, an den Medikamenten oder an dem Schock wegen der Einzelhaft. Man bekommt keine Kleider, es war kalt in dem Raum. Das Schlimmste daran ist die Ungerechtigkeit. Ich kann sagen, was ich will. Es glaubt einem keiner. Gleich wer die Wahrheit sagt, keiner will sie hören. Die Anstaltsleitung lächelt nur und sagt, ich kann doch nicht die eigenen Beamten als Lügner hinstellen. Ich aber, ich bin ja eh ein Gefangener ohne Rechte."
So weit die persönlichen Aufzeichnungen eines ehemaligen Häftlings.
Freiheitsentzug ist die härteste Sanktionsmöglichkeit, die eine zivile Gesellschaft hat. Deshalb protestieren wir gegen die unmenschliche und unrechtmäßige Inhaftierung aller Abschiebehäftlinge. Abschiebehaft ist eines Rechtsstaates unwürdig, sie gehört abgeschafft!
Wenn die Oberen dieser Stadt dieses anders sehen, zeigen sie ihr wahres Gesicht. Sie sind damit die Staatsfeinde, die die freiheitliche Grundordnung unterhöhlen wollen, sie wollen damit das Grundgesetz und letztendlich unser aller Freiheit einschränken und abschaffen. Doch wir lassen uns dieses nicht bieten, wir werden uns wehren, wir werden mit allen gewaltfreien Mitteln dagegen vorgehen. Wir fordern, dass diese Stadt als erste in der BRD erklärt, dass Abschiebehaft nicht mehr als Mittel gegen die Flüchtlinge eingesetzt wird!
Wir fordern weiter, die Schließung aller Abschiebegefängnisse, jeder Mensch hat ein Recht darauf, sich frei bewegen zu dürfen.
Nieder mit allen rassistischen Sondergesetzen - Power durch alle Lagermauern, bis sie brechen!
gockel@gegenabschiebehaft.de
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